Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vom Buch zum Byte. Kurze Geschichte des E-Books (German Edition)

Vom Buch zum Byte. Kurze Geschichte des E-Books (German Edition)

Titel: Vom Buch zum Byte. Kurze Geschichte des E-Books (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ansgar Warner
Vom Netzwerk:
vom „Earth’s biggest bookstore“ in „Earth’s biggest anything store“ zu verwandeln, also vom weltgrößten Buchladen zum weltgrößten Gemischtwarenladen:
    „Unsere Vision ist es, das Unternehmen mit der weltweit besten Kundenorientierung zu sein. Wir wollen der Ort sein, an dem die Menschen alles das finden können, was sie online einkaufen möchten.“
    Dazu gehörten dann neben CDs, Videospielen und Spielzeug auch Elektronikartikel. Auf dem Time-Cover von 1999 sieht man das Gesicht von Bezos zwar neben Buchstaben aus Zuckerguss und antiken Buchrücken. Doch geehrt wird er letztlich für einen weitaus universelleren Erfolg – die Bildunterschrift lautet: „E-Commerce is changing the way the world shops“.
    Self-Publishing mit Stephen King
    Für Stephen King dagegen war 1999 ein Annus horribilis. Beim Spazierengehen wurde der Meister des Schreckens vor seinem Anwesen in Bangor/Maine unabsichtlich von einem Minivan überfahren – und überlebte nur mit Ach und Krach. Monatelang brütete der invalide Schriftsteller à la „Misery“ im Rollstuhl vor sich hin, und dabei muss wohl die Entscheidung gefallen sein, auch der Verlagswelt mal eine kleine Schrecksekunde zu gönnen. Im folgenden Jahr startete King eine bemerkenswerte mediale Offensive: Am 8. März 2000 wurde „Riding the Bullet“ („Achterbahnfahrt“) exklusiv als E-Book veröffentlicht, eine Erzählung, die es im Printformat auf 66 Seiten gebracht hätte. King selbst war erklärtermaßen „neugierig darauf, was es für eine Resonanz geben wird – und ob dies nun die Zukunft der Literatur ist oder nicht.“ Ähnlich neugierig war offenbar des Meisters Hausverlag Simon&Schuster, der das Experiment nolens volens unterstützte.
    „Riding the Bullet“ ist die Geschichte einer Entscheidung auf Leben und Tod, und zugleich ein Konflikt zwischen Lebenden und Toten. Der aus dem Grab wiedergekehrte George Staub stellt den College-Studenten Alan Parker vor die Wahl – wen soll er bei der Rückkehr in die Unterwelt mitnehmen, ihn selbst oder dessen kranke Mutter? Wer die Geschichte lesen wollte, musste sich nicht entscheiden, denn es gab sie vorerst nur im PDF-Format zum Preis von 2,50 Dollar. Der Erfolg war überwältigend. Alleine in den ersten 24 Stunden soll es mehr als 400.000 Downloads gegeben haben, also mehr als 4 E-Books pro Sekunde! Es hätten sogar noch mehr sein können. Doch die Server des Verlagsdienstleisters SoftLock brachen irgendwann unter dem Ansturm zusammen. „The real horror was trying to download the piece“, kommentierte die Nachrichtenagentur Associated Press.
    Trotzdem bedeutete ein solcher Premierentag selbst für einen Bestseller-Autor wie Stephen King eine vollkommen neue Erfahrung. Vermutlich brachte ihm das E-Book in wenigen Stunden mehr als 100.000 Dollar ein. Wie gut sich „Riding the Bullet“ tatsächlich an der virtuellen Ladentheke verkauft hat, ist jedoch eine ganz andere Frage. Denn große Plattformen wie Barnes&Noble oder Amazon boten das E-Book in der Anfangsphase auf eigene Kosten zum kostenlosen Download an. Bei zahlreichen potentiellen Lesern führte die 87 Kilobyte kleine Datei trotz solcher verlockenden Angebote zur medialen Ernüchterung. Denn der Kooperationspartner von Simon&Schuster hieß nicht ohne Grund SoftLock. Das PDF war mit digitalem Rechtemanagement (DRM) versehen worden.
    Das verhinderte nicht nur das Ausdrucken und Weitergeben der Datei. Die zur Lektüre notwendige Lese-Software „Glassbook Reader“ und die daran gekoppelte DRM-Software funktionierte nur auf Windows-PCs und kompatiblen Mobilgeräten. Mac- (und natürlich auch Linux-)Anwender konnten mit „Riding the Bullet“ überhaupt nichts anfangen. Das störte nicht zuletzt Stephen King selbst: “Als ein überzeugter und langjähriger Mac-Nutzer bin ich erstaunt und auch ein wenig unglücklich darüber, dass es für diese Gruppe so schwer ist, Zugang zu der Geschichte zu bekommen“, verlautete aus der Dichterklause in Bangor. Erst Wochen später konnte Simon&Schuster das Problem in Zusammenarbeit mit Amazon und Adobe beheben.
    Einige Leser hatten da bereits auf eigene Faust eine Lösung gefunden. Der Kopierschutz war ganz einfach geknackt worden, und die DRM-freie Version von „Riding the Bullet“ machte innerhalb der Web-Community die Runde. Absurderweise sorgte erst die in der Presse als „Hacker-Attacke“ titulierte Aktion für ein wirklich benutzerfreundliches E-Book, das sich auf allen Geräten und Systemen öffnen

Weitere Kostenlose Bücher