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Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest

Titel: Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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aus ihren |174| aufgepumpten Egos auch privat nie die Luft ablassen können. Wegen ihm sieht die Hälfte dieses Hauses seit Mitte Dezember so aus, als könnten es die Leute hier kaum abwarten, die Einflugschneise für den neuen Berliner Großflughafen zu sein!
    Gegen Mittag hat der Makler versucht, mich telefonisch zu erreichen. Er sprach auf den Anrufbeantworter im Flur, als ich gerade mit einer Kanne Tee aus der Küche kam. Aber da ich nicht mehr abnehme, wird er bis nächstes Jahr warten müssen, ehe ich ihm persönlich für sein Angebot danken kann. Mit einer Stimme, die immer so klingt, als hätte er gerade ein Entspannungsbad genommen, sagte er mir, wie sehr es ihn freue, daß ich mit dem Nepuzen-Verlag übereingekommen sei, und daß er mir helfen wolle. Seit geraumer Zeit hat sich niemand mehr um mein Befinden gekümmert. Nicht, daß es mir gefehlt hätte. Es scheint vielmehr, als stellten sich diese Erwartungen, wenn sie zu lange unerfüllt bleiben, irgendwann von selbst ab. Um so mehr hat mich seine Anteilnahme überrascht.
    Als Makler ist er ja kein ausgesprochener Literaturliebhaber. Er interessiert sich auch privat eher für Segelregatten als für Bücher. Trotzdem will er die
Gegenwartsliteratur im Land Brandenburg unterstützen
, wie er das formulierte. Er will für einen Teil der Druckkosten aufkommen. Er scheint zu glauben, daß ich meinen Beruf wechseln und Schriftsteller werden will. Bei einer Firma mit dem Namen
alpha
leuchtet es natürlich ein, daß sie Berufsanfänger fördern. Trotzdem ist das Angebot beschämend. Ich habe den Verdacht, der Makler will mich aus Mitleid unterstützen.
    Im Neubaublock gegenüber zünden sie ein Feuer an. Weißgelber Rauch quillt in den Himmel.
    Heute fällt alles schwer. Das Aufstehen, das Herumlaufen, das Sitzen. Die Angst lauert wie ein fieser Schatten in |175| meinem Rücken. Sie ist nicht mehr so bewußt wie heute morgen, aber sobald ich die Hände auf die Tastatur legen will, fangen sie an zu zittern. Jemand scheint an den Handgelenken zu drehen. Die Muskeln beruhigen sich nicht. Wenn ich die rechte Hand mit der linken festhalte, hört das Zittern der rechten kurzzeitig auf. Aber die andere Hand verfällt in eine Art Spasma. Sie zittert so stark, daß sie die eingesperrte Hand wieder mit in die Bewegung hineinreißt. Auf der Tischplatte entsteht ein trockenes Geräusch, eine Art Klappern.
    ARS sieht von den Wänden auf mich herab. Ihre Gesichter rücken näher, glänzend, blaß, alle mit diesen in der Mitte beinahe zusammengewachsenen Augenbrauen. Die Augenbrauen beginnen sich zu drehen, erst wie Propeller, dann entsteht ein Wirbel, ein Hurrikan, der mich einsaugt und mir die Luft nimmt. An seinem Endpunkt, an dem der Hurrikan stillzustehen scheint, kommt mir ARS entgegen. Sie strahlt diese spezielle Ruhe aus, die nur aus dem Wissen herrühren kann, kein Einzelwesen zu sein, nicht verloren und getrieben von einer belanglosen Hast, sondern eins zu sein mit anderen, aufgehoben in einer gemeinsamen Bewegung, aber bevor ich ARS erreiche, löst sich der Wirbel auf, und sie sieht wieder nur von oben herab, als würde sie sagen: Guck dich bloß an; so einer will mir nahe sein?
    Ich habe jetzt das Fenster geöffnet.
    Die Luft riecht nach Kohle. Sie riecht nach der Kälte und nach dem Schnee, der noch in den Wolken lagert und den sie für morgen früh angesagt haben. Die Finger werden rot. Wenn ich die Hände lange genug auf das Fensterbrett lege, fangen sie an zu schmerzen. Die Haut dampft nicht mehr, und nach einer Weile laufen die Finger von den Kuppen her gelblich an. Aber erst, wenn die Hände bis hinunter zur Handwurzel wächsern und taub geworden sind, |176| wenn das Brennen der Haut nicht mehr spürbar ist, wenn der Schmerz einmal bis auf die Knochen durchgedrungen und dann verebbt ist, erst dann liegen sie still.
    Es herrscht Ruhe.
    Der kalte Wind. Das Knarren der Bäume.
    Das gleichmäßige leise Zischen, mit dem das verbrannte Propangas aus dem Heizungsgitter an der Hauswand austritt.
    Wieder in der Wärme, beim Auftauen der Haut, fühlen sich die Augen geschwollen an. Die Mundwinkel sind salzig. Wahrscheinlich von Tränen. In der Kälte scheint das Weinen allerdings ein halbwegs sauberer Vorgang gewesen zu sein; nur Wasser, kein Rotz, jedenfalls nicht spürbar.
    Der Frau hat es immer Erleichterung verschafft. Aber sie ist ein zuversichtlicher Mensch. Zuversichtliche Menschen können laut und mit Hingabe weinen, es erschüttert ihre Körper, und hinterher

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