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Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest

Titel: Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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Oktober auf.
    Sind die Blätter der Kastanie entflammt, fürchte ich, meine kreative Ader könnte in diesem Jahr endgültig verschüttet, versandet, vertrocknet sein wie ein Creek, der nur noch als Attrappe die Landschaft behelligt. Die Trostlosigkeit solcher Creeks habe ich mit eigenen Augen gesehen, da meine Freundin immer auf dumme Gedanken kommt. Und einer dieser Gedanken hatte uns dieses Jahr in die Wüste geschickt.
    Dort wuchsen Stechginster, Yuccastengel und hartes Gras. Neben uns lachten kreischend Kojoten. Meine Freundin meinte, es müsse sich um die kalifornische Wüste handeln, »ha ick jedenfalls so jebucht«, aber da es keine Wegweiser gab, konnten wir das nicht überprüfen.
    Weihnachtlich war es nicht. Ein paar Holzgewächse ragten in den stahlblauen Himmel. Aus der Ferne sahen sie wie knorrige Apfelbäume und aus der Nähe noch erbärmlicher aus.
    »Und was machen wir jetzt hier?«
    »Losjehn«, sagte sie, »rausfinden, wo wa hier sind.«
    In diesem Moment zog ein Airbus über uns das Fahrwerk ein, eine Sirene sprang an, ein schwarzer Wagen preschte knapp an unseren Rucksäcken vorbei, und das Losgehen ging ganz von alleine los.
    Nur die Richtung blieb unbestimmt. Die Wüste hatte sich bald als schmutziger Sandstreifen neben der Fahrbahn entpuppt, der als Fußgängerweg diente. Dann war auch damit Schluß. Zu Fuß ging hier niemand mehr. Meine Freundin winkte einem Taxi. Ich fragte mich, wo sie das Geld hernahm. Wir waren Rucksack-Touristen, wir hatten uns vorgenommen, auf jeden Fall billig zu reisen, und das hieß vor allem: wandern. Als ein schwarzer Kasten neben |181| uns hielt, sah nichts an diesem Gefährt nach einem Taxi aus. Die Räder waren mannshoch, darüber ragte ein eisernes Gestell in den Himmel auf, ganz oben schwebte die Karosse. Und noch etwas höher, ungefähr da, wo in einem Berliner Mehrfamilienhaus die dritte Etage beginnt, schob sich der Schirm eines Basecaps ins Bild, und jemand schrie zu uns herunter: »You guys wanna have a party?«
    Da meine Freundin vom Dorf ein miserables Englisch spricht, mußte ich die Initiative ergreifen. Das war überhaupt der Plan. Sie wollte sich mit ruhigem Gewissen aus der ganzen Weihnachtsangelegenheit verabschieden können,
take car and bye, bye
, wie sie hier sagen würden, und das ihr fremde Idiom sollte mich darin unterstützen, selbständig meinen Helden zu finden, und also sagte ich: »No.«
    »What? You don’t wanna have a party?« rief es erneut von oben, jetzt schon zweistimmig, während mir der Nacken steif zu werden begann. »Fuck! Who are you guys?«
    Wer wir waren, ließ sich so schnell nicht zufriedenstellend erklären. Man hätte beim Mauerbau anfangen, von Hammer und Zirkel im Ährenkranz, den Zeichen des Glücks an der Wiege sprechen, auf die folgenden langen Jahre des Rot- und Weißkrautessens und die schriftstellerischen Versuche neugieriger Nachbarn hinweisen, den ersten Drogenrausch auf den Rieselfeldern am Stadtrand erwähnen und die Trasse der Druschba-Freundschaft im Ural einarbeiten müssen, da sie unser Weltverständnis mitgeprägt hatte, man hätte sich Gedanken über die Bewaffnung unserer Freunde in Angola machen und über die Wirkung von weißen Haushaltskerzen am Montag philosophieren müssen, bevor man zum Mauerfall und dank seiner schließlich hier angekommen wäre, und das alles, während der Riesenkasten auf Rädern am Rande eines |182| sechsspurigen Staus die ganze Zeit aus verchromten, Pipeline-ähnlichen Auspuffröhren röhrte.
    Der Einfachheit halber sagte ich, was auch bei der Einreise das Sicherste gewesen war: »We are tourists.«
    »Yeah, aren’t we all!« kam es zurück, eine Feststellung, die ich brav wie alles Weitere simultan ins Deutsche übertrug.
    »Na dann mal rauf auf den Panzer«, rief das Basecap uns von oben zu, und schon verlud ein Greifarm die Rucksäcke, eine Treppe glitt vor unsere Füße, und da wir als Touristen ohne Rucksäcke verloren waren, kletterten wir drei Mietshausetagen in die Fahrerkabine hoch.
    Von oben sah man in der Ferne das Meer.
    »Siehste«, raunte mir meine Freundin zu. »Siehste!«
    »Kaktus in der Wüste«, echote es aus dem Inneren des Wagens, und zwar auch im Original in deutsch, und das war, die Flora betreffend, korrekt.
    »Sie verstehen Deutsch?« fragte ich in meiner Muttersprache.
    Keiner antwortete. In der Ecke, aus der das Echo gekommen war, saß ein schlanker, muskulöser Mann, der Anzug aus feinstem Garn, die Haare schulterlang, mit makellosem Teint und

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