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Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest

Titel: Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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gefragt: und die Haare? Wie sind ihre Haare, und du reagierst einfach nicht mehr. Und guck dir an, wie ich jetzt aussehe. Das ist ja, als ob ich hinke oder als ob, als ob   –«
    »Wie nichts Halbes und nichts Ganzes«, sagte ich und wollte noch schnell einen Weihnachtsgedanken unterbringen: »Wie unbefleckte Empfängnis?«
    |168| »Na du hast ja auch nicht mehr alle Tassen im Schrank«, sagte sie, stützte sich an mir ab, um sich den rechten großen Zeh zu rubbeln, der bleich und steif aussah, und sagte: »Und sag mal, können wir jetzt diese Vorhölle hier mal verlassen?« Stimmt. Wir waren ja immer noch im Schneezimmer, die Düsen hatten zugelegt. Unser Atem richtete hauchzarte Schichten wie Glas vor uns auf.
    »Aber das ist doch nicht so wichtig, oder?« sagte ich. »Das Aussehen.«
    »Klar, darauf kommt’s an. Erst wenn du aussiehst wie Berenice, kannst du auch so sein. Dich so verhalten. Verhalten kommt von Haltung, und die Haltung kriegst du nur äußerlich hin, logisch, im Körper. Das muß sitzen! Kennst du nicht dieses Zusammensacken, sobald man nach Hause kommt, vor der Glotze, da kommt doch das ganze Elend her, aber wenn du eine Haltung in deinen Körper bekommst, reagierst du gleich ganz anders. Na und jetzt«, sagte sie und drückte die Tür auf, und wir fielen mit einem Kältedampfschweif aus dem Eiswürfeltreiben heraus und in einen rechtzeitig zur Verfügung gestellten Strandkorb hinein. »Jetzt krieg ich’s eben nur halb hin.«
    Ein Kolibri zog vorbei, er war aus Plastik.
    »Du meinst, der Körper eilt sich selbst zu Hilfe«, sagte ich neunmalklug, und hielt mein Gesicht in die künstliche Sonne, streckte die Beine aus und hatte zum ersten Mal eine Idee, was mit den Apfelsinen anzufangen war.
    Sie mußten untergebracht werden.
    Wegen der
Text entropie
, wie meine Freundin sagen würde. Ich fand, ich war über die Jahre ziemlich selbständig geworden, winkte dem Barkeeper, drückte ihm die Früchte in die Hand und gab einen Bacardi Orange in Auftrag.
    |169| Über uns beugten sich Palmen. Kinder stoben auf blauen Aufblastieren vorbei, und wir hörten Lieder, in denen sehr oft das Wort Meer vorkam.
    »Der Körper eilt nicht sich selbst zu Hilfe, Quatsch«, sagte coolerhüpfer, »sondern mir, also Berenice.«
    Und so plauderten wir ins Blaue und in unsere Drinks hinein, und als die Zeit, sich zu verabschieden, gekommen war, wünschte ich ihr alles Gute und versprach, noch einmal in meinem Gedächtnis zu forschen. Wegen der Hochsteckfrisur. Die ich mir bei ihr allerdings gar nicht vorstellen konnte.
    »Also dann«, sagte coolerhüpfer und winkte zum Abschied, als uns das Drehkreuz am Ausgang der Badeanstalt auf die Straße spie.
    Beruhigt konnte ich mich endlich auf den Weg zu meiner Freundin machen, die wieder am Stadtrand wohnte.
    Die drückte mir einen Verband auf die gut gekühlten, immer noch bläulichen Finger.
    Sie war allein. Sie hatte auf mich gewartet. Sie wollte nicht schon wieder mit dem Anrufen die erste sein.
    Und erst als wir mit selbstgemachtem Punsch auf ihrem Sofa saßen, die ganze Welt war kuschlig und in Ordnung und warm, es gab jahresendzeitgemäße Kerzen mit Vanilleduft, sagte sie ganz unvorbereitet etwas, was in mir den Verdacht aufkommen ließ, sie sei bei meinem Badeausflug dabeigewesen.
    »Weeste«, sagte sie und lehnte sich wohlig zurück und streichelte mir die Hand. »Ick hab ma Lust, so richtig in die Sonne, weeste, so zu Weihnachten. Na, Mensch, und dir«, sagte sie und streichelte jetzt über meinen Arm, den sie dann ein bißchen, wie ich dachte, geistesabwesend beklopfte. »Dir würde dit nu ooch nüscht schaden. So ne Palme, und so n Meer. Und ma so ja keene Kugeln und |170| Lichterdinga. Die machen dich noch janz malle im Koppe.«
    Ich sagte nichts.
    Ich hatte plötzlich Angst, ich wäre in Wirklichkeit nur ihr Hirngespinst.

|171| Protokoll 9
    Einzig die Angst ist der Grund für diese Protokolle. Sie führen nirgendwohin. Nichts führt irgendwohin. Ich kann nicht unterscheiden, ob mir ARS Sprache tatsächlich gelingt oder ob sich in dem, was ich schreibe, nur etwas zeigt, was ich an mir bisher nicht kannte. Vielleicht habe ich in ARS Sätzen auch längst die Orientierung verloren.
    Egal, wie es sich verhält, Fakt ist: Ich habe Angst vor dem Moment, in dem die Weihnachtsgeschichten fertig sein werden. Vor diesem Nichts. Es ist eine Angst, die mich heute morgen wie eine Sturzflut überwältigte. Sie ließ mich geschwächt und mit Schwindelgefühl zurück.
    Ich

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