Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes
Erfahrungen öffnen.
3. Ergänzend kann auch die Identifikation ausgedehnt werden, indem ich meinen Horizont erweitere und mehr von dem bin, als was ich mich gewöhnlich sehe: »Ich bin auch das und auch jenes und auch das.« Das hebt die innere Verbindung, das Gemeinsame und die Einheit hervor.
4. Wenn man einen Spaziergang am Meeresstrand unternimmt, sich innerlich unruhig fühlt und sich dann im gleichmäßigen Meeresrauschen wiedererkennt, kann das in die Stille führen. »Ich bin auch das Meer«, »Ich bin auch die Wärme«, »Ich bin auch der kühle Wind« etc.
Indem man das Bewusstsein mit wachen Sinnen ausdehnt, wird die Seele berührt, und es entsteht eine Vernetzung mit dem, was mich umgibt. Ich schlüpfe hinein, spüre in die Tiefe und verschmelze damit. Das ist der Keim des Bewusstseins von der Zusammengehörigkeit und der Einheit des Lebendigen. Dabei verfeinert sich auch das Spürbewusstsein, und ich lerne, mich selbst, andere und anderes durch die innere Teilhabe besser einzufühlen.
Die Bewusstheit von der Totalität des All-Einen kann auch dadurch aufgebaut werden, dass ich in der Meditation alles hinter mir lasse, was ich glaube zu sein und wodurch ich bestimmt wurde: Prägungen, Rollen, Zuschreibungen, Konzepte, Gedanken, Geschaffenes etc. Alles, was in meinem Bewusstseinsraum auftaucht, kann losgelassen werden, bis sich ein Zustand der Leere einstellt. Dabei werde ich bemerken, dass sich daraus kein Defizit- oder Mangelempfinden ergibt, sondern eher ein unbeschwertes Einssein mit allem.
Um Vergebung bitten
Wie schon hinlänglich beschrieben, bewirkt das Ego Unordnung, Unfrieden und karmische Verstrickungen mit den geschädigten Personen. Wenn ich mich nun entscheide, etwas in Ordnung zu bringen oder um Verzeihung zu bitten, dann lösen sich nicht nur Konflikte, sondern dementsprechend baut sich auch das Ego ab. Obwohl mein egoistisches Handeln immer mich selbst schädigt, verursacht es auch »hohe Kosten«, die andere zu bezahlen haben. Ein Arbeitskollege, Partner oder Freund, der von mir hintergangen, bloßgestellt oder in Mitleidenschaft gezogen wird, leidet unter meinem Verhalten. Manchmal werden auch irreparable Schäden hinterlassen.
Ein Vater hat seine Tochter von Kindesbeinen an misshandelt. Später versagte er ihr jegliche Unterstützung für das Studium. Die Tochter klagte dann ihre Rechte ein, was den Vater derart in Rage brachte, dass er sie aufs schlimmste beleidigte. Um sie aus dem Gleichgewicht zu bringen, hat er ihr kurz vor dem Staatsexamen einen bösen Brief geschrieben. Sie war so erschüttert, dass sie die Prüfungssituation nicht erfolgreich bewältigen konnte. Sogar in solchen Extremfällen könnte eine radikale Umkehr heilsam wirken. Der Vater müsste sich vom Leid, das er angerichtet hat, berühren lassen, sich dafür entschuldigen und Zeichen der Wiedergutmachung setzen.
1. Zunächst sollten Sie also herausfinden, wem Sie möglicherweise durch egoistisches Handeln Schaden zugefügt haben. Gerade in dieser Konfrontation sollte Ihre Haltung aufrichtig und wertschätzend sein. Nun stellen Sie sich vor, wie Sie dieser Person gegenübersitzen. Drücken Sie zunächst Ihr Bedauern über das aus, was Sie ihr zugefügt haben. Manchmal genügt eine Entschuldigung oder die Bitte, Ihnen zu vergeben. Manchmal ist es notwendig, Wege der Entschädigung zu finden. Registrieren Sie einfach, wohin Ihre Fantasie Sie führt.
2. Notieren Sie jetzt die gesammelten Eindrücke und reflektieren Sie, was Sie davon direkt umsetzen möchten. Falls das nicht mehr konkret durchführbar ist, können Sie das auch im Geiste tun. Falls Sie Kontakt zu der geschädigten Person aufnehmen, ist unbedingt zu beachten, dass die Annäherung rücksichtsvoll und in kleinen Schritten zu erfolgen hat. Falls Ihnen signalisiert wird, dass direkter Kontakt unerwünscht ist, akzeptieren Sie das, schreiben Sie vielleicht einen Brief, falls das möglich scheint, und wiederholen Sie diese Übung mehrmals.
Dankbarkeit
Zu danken heißt, nicht nur zu nehmen, sondern auch bewusst anzuerkennen, dass mir Gutes zuteilgeworden ist. Dankbarkeit ist eine würdigende Geste, die eingesteht, dass ich nicht alleine aus mir heraus existieren kann. In diesem Sinne ist danken zu lernen eine spirituelle Übung, die das Ego schmälert. Dankbarkeit kann Personen, dem Leben, der Natur, anderen Lebewesen oder der inneren Weisheit gegenüber dargebracht werden. Das kann durch eine Gabe, einen Satz oder eine Gebärde geschehen.
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