Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes
begünstigen egozentrische Lebensstile, denen Machtbegehren, Entwertung und Manipulation zugrunde liegen.
Wenn man anderen etwas Schlechtes wünscht, richten sich die feindseligen Impulse gegen das eigene Selbst, das sich dann verschließt und abkapselt. Durch menschenverachtende Einstellungen wird man unglücklich, unfrei und unzugänglich für inspirierende Ideen. Diese falsche innere Orientierung kann dann häufig nur durch erschütternde Ereignisse korrigiert werden.
Wie ich schon erwähnt habe, ist der Bezug auf die Ressourcen des Selbst in der psychospirituellen Begleitung unentbehrlich. Es macht einen immensen Unterschied in der Entfaltung eines heilsamen Gruppenprozesses, ob sich der Leiter selbstherrlich und manipulierend verhält oder sich in den Dienst der Weisheitskräfte stellt. Im Kontakt mit dem Selbst ist man näher am Puls des Geschehens. Das merkt man daran, dass intuitive Bilder und kreative Interventionen leichter zugänglich werden oder günstige Zufälle hilfreich mitwirken.
Intentionen, die aus einem befreiten Selbst und egobereinigten Strategien erwachsen, werden von einer spirituellen Energie protegiert.
Diesen Zusammenhang konnte ich über viele Jahre feststellen. In Zeiten, in denen ich meine spirituellen Übungen diszipliniert durchführe und mich dem größeren Ganzen bereitwillig zur Verfügung stelle, verschmelzen Fähigkeiten, Aufgaben und äußere Umstände zu einer Einheit, in deren Strahlkraft geschieht, was geschehen soll. Wenn nun, beispielsweise am Ende eines gelungenen Seminars, die Teilnehmer meine Arbeit als hervorragend einstufen, darf man das nicht auf sich alleine beziehen, sondern sollte sich der Wirkkräfte des All-Einen bewusst sein. Nicht nur aktuell für diese fragliche Situation, sondern auch rückblickend – denn das Leben selbst ist darin eingebunden.
Genetische Anlagen, anregende Lebensumstände und die Förderung von entscheidenden Personen wirken immer zusammen. So berichten erfolgreiche Menschen, dass sie sich erst dann wirklich froh und zufrieden fühlen, wenn sie ihr Glück nicht nur sich selbst zuschreiben.
Dann öffnet sich das Herz, denn man braucht nicht festzuhalten, was gegeben wurde. Es kann dorthin zurückfließen, wo es herkommt. Das nimmt auch die Angst vor den nächsten Aufgaben. Achtsamkeit und Mitgefühl zu üben, andere zu fördern oder Anteile des Vermögens zu spenden verbindet den individuellen Erfolg mit dem Seinsganzen.
In der folgenden Kontemplation wollen wir aus unserer Wesensmitte, dem Bereich des unverfälschten Selbst, eine Vision aufsteigen lassen:
1. Gehen Sie bitte wieder für einige Minuten in die Stille, vertiefen Sie den Atem und lassen Sie mit dem Ausatmen alles los, was gerade im Inneren abläuft, bis Sie sich frei und offen fühlen. Mit jedem Atemzug gelingt es Ihnen, etwas tiefer zu landen, bis Sie im Innersten ankommen.
2. Lassen Sie sich jetzt in Gedanken dort nieder und warten Sie, bis Ihnen gezeigt wird, wie Ihr Weg weitergehen könnte. Spüren Sie für einen Augenblick die Energie, die von diesem Bild ausgeht, und kehren Sie wieder zurück.
Das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung, die Tendenz zur Selbstaktualisierung ist der Motor, der die Transformation des Menschen in Gang hält. In uns und in der Natur wirkt etwas, das stets aus alten Formen neue hervorbringt und dafür sorgt, dass nichts seine Gestalt auf Dauer behält. Im Selbst sind potenzielle Entwürfe eines jeden Lebens deponiert. Manche davon können vielleicht noch nicht erfasst werden, weil man dafür noch nicht vorbereitet ist. Es ist wie in psychotherapeutischen Erkenntnisprozessen, wenn etwa unbewusste Motive oder Potenziale, zu denen der Klient noch keinen Zugang hat, vom Begleiter schon erkannt werden. Dennoch wirken sie bereits implizit, ähnlich einer unerledigten Aufgabe, einer offenen Gestalt oder der Sogkraft eines künftigen Ziels. Das Selbst ist bestrebt, die Kluft zwischen dem Wirklichen und Möglichen zu überwinden. Es sind die Gelegenheiten, die sich, wie aus heiterem Himmel, auftun und dann plötzlich existenzielle Entscheidungen herbeiführen, an die man früher überhaupt nicht gedacht hat. Dabei lässt das Selbst nur sichtbar werden, was schon latent vorbereitet wurde.
Völlig unerwartet wurde mir im Alter von dreißig Jahren die Leitung eines psychotherapeutischen Krankenhauses für Suchtkranke angeboten. Obwohl der Trägerverein Schwierigkeiten zu überwinden hatte, weil ich von meiner Ausbildung her Psychologe und kein
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