Vom Ende einer Geschichte
Jahrestag von Adrians Tod trafen wir uns zu dritt auf einen Drink im Charing Cross Hotel und gingen dann in ein indisches Restaurant. Wir bemühten uns, das Andenken unseres Freundes hochzuhalten. Wir erinnertenuns, wie er Old Joe Hunt wissen ließ, dass er arbeitslos sei, und Phil Dixon über Eros und Thanatos belehrte. Wir hatten bereits angefangen, unsere Vergangenheit in Anekdoten zu verwandeln. Wir dachten daran zurück, wie wir gejubelt hatten, als Adrian ein Stipendium für Cambridge bekommen hatte. Wir erkannten, dass er zwar bei uns allen zu Hause gewesen war, aber keiner von uns bei ihm; und dass wir nicht wussten – hatten wir je gefragt? –, was sein Vater machte. Wir stießen in der Hotelbar mit Wein und nach dem Essen mit Bier auf ihn an. Auf der Straße klopften wir einander auf die Schulter und schworen uns, diese Gedenkfeier jedes Jahr zu wiederholen. Doch unsere Lebenswege trennten sich bereits, und die gemeinsame Erinnerung an Adrian reichte nicht aus, uns zusammenzuhalten. Vielleicht trug das fehlende Geheimnis um seinen Tod dazu bei, dass sein Fall leichter abgeschlossen wurde. Natürlich würden wir uns ein Leben lang an ihn erinnern. Doch da sein Tod eher abschreckend war als »tragisch« – wie die Cambridge Evening News routinemäßig behauptet hatte –, entschwand Adrian uns recht schnell, in Zeit und Geschichte eingekapselt.
Inzwischen war ich zu Hause ausgezogen und hatte als Trainee in der Kulturverwaltung angefangen. Dann lernte ich Margaret kennen; wir heirateten, und drei Jahre später wurde Susie geboren. Wir kauften mit einem großen Darlehen ein kleines Haus; ich pendelte jeden Tag nach London. Aus meiner Ausbildung wurde eine lange Karriere. Das Leben verging. Irgendein Engländer hat mal gesagt, die Ehe sei eine lange, fade Mahlzeit, bei der der Nachtisch zuerst serviert wird. Ich finde das viel zu zynisch. Ich hatte viel Freude an meiner Ehe, aber vielleicht war ich ruhiger – friedfertiger –, als es gut für mich war.Nach vielen Jahren fing Margaret etwas mit einem Mann an, der ein Restaurant führte. Ich mochte ihn nicht besonders – sein Essen übrigens auch nicht –, aber das ist wohl nicht weiter verwunderlich. Das Sorgerecht für Susie wurde uns gemeinsam zugesprochen. Zum Glück schien sie nicht allzu sehr unter der Trennung zu leiden; und wie mir jetzt auffällt, habe ich meine Schadens-Theorie nie auf sie angewendet.
Nach der Scheidung hatte ich ein paar Affären, aber nichts Ernstes. Ich erzählte Margaret immer von jeder neuen Freundin. Damals kam mir das nur natürlich vor. Heute frage ich mich manchmal, ob ich sie damit eifersüchtig machen wollte oder ob das womöglich eine Art Selbstschutz war, damit die neue Beziehung nicht allzu ernst wurde. Außerdem entwickelte ich in meinem nun leerer gewordenen Leben verschiedene Ideen, die ich als »Projekte« bezeichnete, vielleicht, um sie realisierbar klingen zu lassen. Es ist nie was dabei herausgekommen. Na, das ist nicht von Bedeutung und gehört auch nicht zu meiner Geschichte.
Susie wuchs heran und wurde allgemein Susan genannt. Als sie vierundzwanzig war, schritt sie an meinem Arm zum Standesamt. Ken ist Arzt; inzwischen haben sie zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen. Auf den Fotos, die ich in der Brieftasche mit mir herumtrage, sind sie immer jünger als in Wirklichkeit. Wahrscheinlich ist das normal, um nicht zu sagen »philosophisch evident«. Aber man ertappt sich immer wieder bei dem Spruch »Sie werden ja so schnell erwachsen«, wenn man eigentlich nur meint: Die Zeit vergeht heutzutage schneller für mich.
Margarets zweiter Mann erwies sich als nicht so friedfertig: Er ging mit einer Frau auf und davon, die ihr ganzähnlich sah, aber die entscheidenden zehn Jahre jünger war. Sie und ich verstehen uns immer noch gut; wir treffen uns bei Familienfeiern und manchmal zum Mittagessen. Einmal wurde sie nach ein, zwei Gläsern sentimental und meinte, wir könnten es doch noch einmal miteinander versuchen. Es sind schon verrücktere Dinge passiert, wie sie sich ausdrückte. Das ist sicher wahr, aber inzwischen war ich an meinen eigenen Trott gewöhnt und schätzte das Alleinsein. Vielleicht bin ich auch einfach nicht verrückt genug für so etwas. Ein-, zweimal war von einem gemeinsamen Urlaub die Rede, aber ich glaube, jeder erwartete, dass der andere diesen Urlaub planen und die Tickets besorgen und die Hotels buchen würde. Also ist es nie dazu gekommen.
Jetzt bin ich im Ruhestand. Ich habe
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