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Vom Himmel das Helle

Vom Himmel das Helle

Titel: Vom Himmel das Helle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Diechler
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Ständig gab es dort Ärger, wo man sich gerade noch geküsst hatte. Irgendwer fühlte sich immer falsch verstanden, nicht genügend gewürdigt oder einfach nur nicht auf der Höhe. Einer muss den Anfang machen und ehrlich sein, sonst hört das nie auf. Auch mit über siebzig nicht.«
    »Ich hab ihr vorgeschlagen, mit mir in Urlaub zu fahren. Nach Berchtesgaden. Unmittelbar vor der Trennung«, gestand mein Vater plötzlich. Nun sah er doch geknickt aus.
    »Nach Berchtesgaden?« Ich schlug mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Und das einer Frau, die den Rhythmus und das Temperament einer Spanierin hat? Papa, das ist ungefähr so, als würde dich jemand bitten ein verwässertes Donald-Duck-Bild in einem billigen Comic zu restaurieren. Das ist total daneben.« Ich hielt ihm auffordernd das Handy hin. »Ruf sie zu einer christlichen Zeit an und sprich dich mit ihr aus«, forderte ich ihn auf. »Du hast doch nichts zu verlieren.«
    »Ach!«, fiepte er mit einem Stimmchen, dünn wie eine Maus. Er fühlte sich in die Enge gedrängt. »Jetzt wo du’s sagst, kommt’s mir selbst blöd vor. Ob ein neues Angebot, etwa Caracas, noch was ändern kann? Würde sie das eventuell zu mir zurückbringen?« Ich vermutete, dass er groß daherredete, aber nicht mal die Hälfte von dem, was er jetzt versprach, einlösen würde. Das ließ sein Stolz nicht zu. Er hatte sich ausweinen wollen. Ein bisschen herumjammern und sich danach zwar immer noch schlecht, aber nicht mehr so schlecht wie zuvor fühlen. Und zwar auf meine Kosten.
    »Ruf sie an!«, schlug ich erneut vor. Doch er schob meine Hand mit dem Handy weg, als könne sie Seuchen übertragen. »Lass mir Zeit, die richtigen Worte zu finden.«
    »Den richtigen Zeitpunkt und die richtigen Worte gibt es nicht. Was zählt, ist die Bereitschaft zu reden.«
    »Ich ruf sie schon an. Vielleicht morgen. Man muss nichts übers Knie brechen.«
    Ich legte das Mobiltelefon gut sichtbar auf den Tisch und verließ mit einem letzten Blick auf einen uneinsichtigen, alten Mann das Wohnzimmer. Hier hatte ich nichts mehr verloren. »Danke, Lea. Du hast mir geholfen«, polterte mein Vater mir mit verräterischer Höflichkeit hinterher. Er wusste, dass er weder zu mir noch zu sich selbst schonungslos ehrlich gewesen war. Er spielte noch immer mit dem Leben wie eine Katze mit Mäusen spielte. Stets einen erbarmungslosen Deal in petto. »Man kann nie wissen, Lea!« Sein Standardsatz für alle Gelegenheiten.
    Unsere Dispute verkamen langsam, aber sicher zu lokalen Kleinodien, die mir den Saft aus den Adern zogen. Ich sehnte mich nach einem frisch durchlüfteten Kopf und Harmonie. In letzter Zeit hatte ich deshalb meine Gesellschaft der vieler anderer vorgezogen und war gut damit über die Runden gekommen. Zumindest, solange ich meine Gedanken nicht mit Liebe, Zärtlichkeit und langfristigen Beziehungen strapazierte. Doch jetzt sehnte ich mich unendlich nach Mark, obwohl es erst kurze Zeit her war, dass wir uns getrennt hatten. Ich verließ noch mal meine Wohnung. Im Treppenhaus pustete ich meinen Atem gegen das Fenster an der Kehre, die die Treppe langsam nach unten geleitete. Der Dunst beschlug die Scheibe. Ich lächelte. »Take it easy. Think about Mark!«, motivierte ich mich. Das wirkte. Ich war nicht mehr allein. Es gab einen wunderbaren Mann an meiner Seite. Wenn auch nur hin und wieder. Schon der Gedanke gab mir Kraft und Hoffnung.
    Ich würde jetzt herausfinden, weshalb mich das Buch über Selbstmordtheorien ansprang wie ein hungriger Tiger. Dann würde ich auch Mutmaßungen darüber anstellen können, auf welche Art und vor allem wann Almut ihren Liebhaber vorhatte zu eliminieren.
    Mir wurde plötzlich klar, wenn ich meinem Vater etwas davon erzählt hätte, hätte er behauptet, ich wolle meinem Leben eine Größe und Wichtigkeit geben, die es gar nicht hatte. »Du, die erst dann gerufen wird, wenn bereits etwas Schreckliches passiert ist, will plötzlich der nicht erklärbaren Unausweichlichkeit des Lebens vorgreifen? Hast du vor, Schicksal zu spielen? Wenn sich das einbürgert, hattest du mal einen Job. Dann gibt’s keine Morde mehr! Und Lea Einsiedel, die Notfallpsychologin, ist überflüssig«, sah ich ihn mit erhobenem Zeigefinger referieren. In dem Moment fiel es mir wieder ein. Nicht länger Morde aufklären, sondern darum bemüht sein, sie zu verhindern. Marks Worte über eine visionäre Zukunft, in der Prävention wichtiger war als Aufklärung, dringender als Verurteilung und das

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