Vom Internet ins Ehebett (German Edition)
meinen Praxisraum anschauen, wir würden über mögliche Veränderungen sprechen. Und dann würde er wieder gehen. So distanziert, wie der sich benahm, brauchte ich nicht zu fürchten, dass er unsere Wiener Tage ansprechen würde. Warum war ich dann bloß so aufgeregt?
Kurz vor halb zwei verließ der letzte Patient meinen Behandlungsraum. »So, Herr Sommer, wir sind fertig. In einem halben Jahr sehen wir uns wieder zur Kontrolle.« Er bedankte sich und öffnete die Tür zum Wartezimmer.
Dort stand Greg und wartete bereits. Er ließ den Patienten vorbei und trat dann in meine Praxis ein: »Hi. Hast du Zeit?« Immerhin war er wieder mit mir per du.
Ich machte eine weit ausholende Handbewegung: »Natürlich, komm herein. Es wird doch nicht lange dauern, oder? Ich habe einen Riesenhunger.«
Gregs Lächeln verschwand so schnell, wie es gekommen war. »Natürlich«, sagte er kurz angebunden, »ich werde mich beeilen.«
Er nahm meinen Raum genau in Augenschein und verglich ihn mit dem Plan, den er bereits vor Tagen erhalten hatte. »Du hast ein quadratisches Zimmer, das ist gut. Sehr gut sind auch die gelben Wände und die weiße Decke. Farben, die nach oben hin heller werden, wirken aufheiternd und leicht. Und das können deine Patienten wohl gut gebrauchen. Setz dich einmal in deinen Behandlungsstuhl.«
Wie bitte? Wozu sollte denn das gut sein? Sollte ich meinen Stuhl testen? Ob man weich genug darauf saß?
Greg berührte mich am Oberarm. »Nun mach schon, du hast es doch eilig … Schon vergessen?«
Seine Berührung durchzuckte meinen ganzen Körper. Mit einem Schlag war alles wieder lebendig. Die Tage in Wien, seine Hände, seine Lippen, seine Worte, seine Taten. Ich beeilte mich zu tun, worum er mich gebeten hatte, und nahm auf meinem Stuhl Platz.
»Nun«, seine Stimme klang jetzt unerwartet heiser, »stell dir vor, du bist einer deiner Kunden. Stell dir vor, du hast Angst, sitzt da mit offenem Mund und schaust verzweifelt geradeaus. Was siehst du?«
Ich sagte, was ich sah: »Eine Wand. Eine gelbe Wand.«
»Richtig, du siehst die Wand. Findest du das angenehm und beruhigend?«
Ich schaute auf die Wand und versuchte, mir vorzustellen, ich sei mein Patient. »Um ehrlich zu sein, Greg, hier ist gar nichts, was mich beruhigen würde. Allerdings auchnichts, was mich beunruhigen würde. Ich sehe eine Wand. Frisch gestrichen. Und ein Stück von der Decke.«
»Hier ist nichts beunruhigend?« Greg konnte es ganz offensichtlich nicht fassen. »Also entschuldige mal, es gibt genug Menschen, die deinen Beruf beunruhigend finden, das kannst du mir glauben. Wie ist es mit dir? Du musst doch auch ab und zu zu einem Kollegen zur Behandlung. Gehst du dort gern hin?«
Natürlich nahm ich nicht gern auf Frank Spörers Sessel Platz. Aber ich war zu feige, das zuzugeben. Also ging ich nicht weiter darauf ein. Sondern setzte zu einer Verteidigungsrede für meinen Beruf an.
Greg hob abwehrend die Hand: »Darum geht’s doch hier nicht, Rosi. Worüber wir uns hier unterhalten, ist die Energie in deinem Raum.« So gesehen hatte Greg sicher Recht. »Was hältst du von einem Bild, genau in Blickrichtung dessen, der auf dem Behandlungsstuhl sitzt?«
Ich überlegte: Ein Bild in der Praxis? Im Wartebereich hatten wir natürlich Bilder. Doch im Praxisraum?
»Abbildungen von Pflanzen wirken beruhigend. Eine Wiese würde passen, was meinst du?«
Ich nickte.
»Man darf nicht unterschätzen, wie wichtig es ist, dass Praxisräume Wohlfühlatmosphäre ausstrahlen. Natürlich muss das Motto lauten: Hier wird kompetent und intensiv gearbeitet, das ist ganz klar. Doch es muss dem Kunden – ich nenne die Menschen, die zu Ärzten kommen, lieber Kunden als Patienten – auch signalisiert werden, dass das alles geschieht, damit er sich danach besser fühlt. ›Lieber Kunde, wenn du das hier alles überstanden hast, dann bist du gesünder, sicherer und selbstbewusster.‹«
Ich konnte ihm nur vorbehaltlos zustimmen.
»Und darum ist es so wichtig, dass die Praxis hell, offen und freundlich gestaltet wird. Und dass alles aufgeräumt und gut organisiert ist. Die Dame am Empfang zum Beispiel: Die sitzt vor einem großen, offenen Regal. Und das ist kreuzund quer überladen mit Büchern, Medikamenten, Zetteln, Stiften, Fotos und allerlei Krimskrams. Kein Wunder, dass sie sich nicht wohl fühlt. Nimm die Wand, das große Regal als Passepartout eines Bildes, als den Rahmen für die Frau, die davor sitzt. Würdest du dich in einem derart chaotischen
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