Vom Kämpfen und vom Schreiben
Anwendungen in der Kurklinik und gehe spazieren. Immer spazieren, jeden Tag, bei jedem Wetter. Nach dem Mittagessen laufe ich zum Meer und marschiere zwei Stunden in eine Richtung. Dann rauche ich eine und gehe wieder zurück. Sonst nichts. Ich erkenne zwar, dass der Lichen Ruber eine seelische Ursache haben muss: Ich fühle mich nicht gut in meiner Haut – so kann man die Krankheit vielleicht übersetzen oder erklären. Zu Ende denken kann ich diese Gedanken aber nicht. Und die Kraft und den Mut, etwas an meinem Leben zu ändern, habe ich nicht. Obwohl die Hautkrankheit nach der Kur langsam abheilt, kommt der totale Zusammenbruch, allerdings ein paar Monate später.
Zusammenbruch
Meine Bücher verkaufen sich nicht. Lesungen kann ich im Moment nicht organisieren. Ich habe ein schlechtes Gewissen deswegen, denke, ich habe versagt. Wir haben so wenig Geld wie noch nie. Das Sozialamt fragt wegen der Verlagsverträge und der Honorare regelmäßig nach, und ich schreibe meine Verlage wiederholt mit der Bitte um ordentliche Abrechnungen an. Der Kajaki-Verlag bekommt noch Geld von mir, das weiß ich natürlich, aber ich kann nicht nachvollziehen, wie viel es ist.
Udo Scheel vom Lübbecker Terminus Verlag schickt mir nach meiner Aufforderung eine Abrechnung: Angeblich hat er bis dato hundertachtunddreißig Bücher verkauft, sodass von dort kein Honorar zu erwarten ist.
Ich bediene mich einer List und frage Kamilla Jansen, wie viele Satirebücher sie noch auf Lager hat und wie viel es kosten würde, wenn ich sie komplett aufkaufe, um wieder Lesungen anzubieten. Die Antwort irritiert mich – der genannte Bestand kann nicht stimmen. Und es stellt sich heraus, dass Kamilla zweihundert Bücher nachdrucken ließ.
Ich bin stinksauer, schreibe ihr, dass sie mich von einer weiteren Auflage hätte in Kenntnis setzen müssen. Nein, schreibt sie, müsse sie nicht, denn ein Nachdruck sei ja keine weitere Auflage, sondern eben nur ein Nachdruck. Ich weiß nicht, ob sie Recht hat. Also rufe ich bei der telefonischen Beratung für Mitglieder des Verbandes Deutscher Schriftsteller an: »Das ist eine Auslegungssache. Wir hören sowas öfter«, sagt der Mann am Telefon. Das hilft mir auch nicht weiter.
Ich glaube Kamilla kein Wort mehr und zweifele jetzt auch die Richtigkeit der Abrechnungen des Sachbuches an.
Kamilla sagt, ich habe beim Verlag noch achthundert Euro Schulden. Die wären längst bezahlt, wenn die Bücher beworben und weiter so vermarktet worden wären, wie Hardy und ich es begonnen hatten, dessen bin ich sicher. Es gibt bitterböse Brief- und Mailwechsel zwischen Kamilla und mir.
Zufällig kommt genau in dieser Zeit ein Brief beim Sozialamt an, der meine Familie und mich denunziert. Hardy und ich würden uns in Kneipen herumtreiben, die Kinder besäßen Luxusartikel wie Fernseher und Playstation und Gameboy, was für Sozialschmarotzer ja wohl unangemessen sei. Außerdem liefe ich immer herum wie eine Millionärin und würde nur teure Markenkleidung tragen.
Ich darf den Brief nur ein einziges Mal im Beisein des Sachbearbeiters lesen. Mein Herz klopft währenddessen bis in die Haarspitzen.
»Eigentlich darf ich Ihnen den Brief gar nicht zeigen, denn er ist an das Sozialamt adressiert und nicht an Sie, und es gilt somit das Briefgeheimnis«, sagt der Sachbearbeiter. Dann heftet er das eng beschrieben Blatt wieder in den Aktenordner. »Nehmen Sie dazu bitte Stellung«, sagt er.
Ich bin so empört über den Brief, dass ich zwar die Wahrheit sage, mich aber im Ton vergreife. »Einmal im Monat, am Samstag nach dem Ersten, gehen mein Mann und ich aus. Einmal im Monat muss das einfach sein. Wir setzen uns in die Kneipe gegenüber und dann trinken wir Bier. Und wenn wir blau sind, gehen wir nach Hause und haben schmutzigen Sex.«
Der Sachbearbeiter runzelt die Stirn. »Sie brauchen nicht ausfallend werden!«, sagt er. »Was ist mit den Luxusartikeln?«
»Es ist alles wahr, was in dem Wisch steht: Meine Söhne haben Fahrräder, mit denen sie zur Schule fahren. Sie haben jeder einen tragbaren Fernseher, der Kleine hat zum Geburtstag einen Gameboy bekommen. Und die Playstation teilen sie sich, das war ihr Weihnachtsgeschenk.«
»Und was ist mit Ihrer Garderobe?«, fragt er mit einem Blick auf mich.
»Ja. Ich trage nur Markensachen. Und die kaufe ich, bis auf meine Unterwäsche, seit vielen Jahren immer gebraucht auf dem Flohmarkt.«
Der Sachbearbeiter notiert jedes Wort, und ich überlege und überlege, wer diesen anonymen
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