Vom Kämpfen und vom Schreiben
sagt der Chef, denn die öffentlich rechtlichen Sender hätten besonders komplizierte Wege bei den Programmentscheidungen. Das verstehe ich und finde es auch gut, denn es sind immerhin öffentliche Gelder. Die Frauen, die mir ihre Teilnahme zugesagt haben, verstehen die Situation.
Ich bereite weiter alles vor, bitte die Frauen um die Daten, die sie preisgeben wollen, frage nach ihren Wünschen, in welchen Situationen sie gedreht werden wollen, und an welchen Orten wir das machen können. Und ich möchte von jeder Frau jeweils ein kurzes Statement zu den Stichworten »Wechseljahre« und »Alter/n«.
Ich bekomme rasch Reaktionen, auch Marita schreibt mir in Stichpunkten, dass sie Fotografin, Autorin und Altenpflegerin sei, sie sei alleinstehend, habe einen erwachsenen Sohn und ein Enkelkind. Sie gibt ihr Statement zum Thema ab und meint, dass man sich in den Wechseljahren häuten müsse wie eine Zwiebel, bevor man auf den essbaren Kern stieße. Ich bitte Marita, den Satz zu ändern, weil ich nur kernlose Zwiebeln kenne. Marita schreibt weiter, dass es nur eine Möglichkeit gebe, nicht zu altern, und das hieße, jung zu sterben.
Damit kann ich noch nicht viel anfangen, denn wenn jede der Frauen so wenig schreibt, kann ich damit keinen Film von zirka dreißig Minuten planen.
Ich bitte sie noch einmal, mir ihre Wünsche bezüglich der Drehorte und Szenerien mitzuteilen. Um es ihr zu erleichtern, schlage ich Marita ihre Wohnung, den Flughafen und einen Spaziergang am Fluss mit ihrem Sohn vor. Außerdem schicke ich ihr einen überarbeiteten Textvorschlag:
»Marita ist geschieden, hat einen erwachsenen Sohn und ein Enkelkind. Sie ist ausgebildete Altenpflegerin, arbeitet jetzt als autodidaktische Fotografin und ist Buchautorin. Marita lebt allein in einer kleinen Wohnung und bekommt zurzeit Hartz IV. Sie ist oft verzweifelt wegen ihrer Armut und sucht unermüdlich nach beruflichen Perspektiven und Alternativen. Sie träumt von einem Leben im Ausland, weil – bitte hier die Gründe erläutern, Marita! — der Sohn plant, nach Island auszuwandern.«
Die nächste Mail von Marita haut mich um. Die Buchstaben springen mich an, so aggressiv ist der Ton: Die wenigen Zeilen, die ich ihr geschickt habe, hätten ausgereicht, um ihr zu bestätigen, dass sie mir nicht trauen könne. Wie bitte? Nicht trauen? Sie schreibt, dass ich ihre Zeilen sinnentstellend und verdreht wiedergeben habe, weil die Reihenfolge, bei der sie sich sehr wohl etwas gedacht habe, nun anders sei. Sie habe mir geschickt: Fotografin, Autorin, Altenpflegerin und das Statement. Ich hätte daraus gemacht: »Altenpflegerin, Fotografin, und ganz am Ende Autorin, die, verwirrt, haltlos und verstört an ihrer Armut leide, aber vom Auswandern träume …«
Beim ersten Lesen verstehe ich gar nicht, was sie meint. Zum Schluss schreibt Marita: »Ist das nicht toll, dass die abgekackte Hartzerin wenigstens noch träumen darf?« Damit wolle sie nichts zu tun haben.
Ist sie jetzt ganz durchgedreht? Nein, sie muss mich total falsch verstanden haben, das wird an mir gelegen haben. Offenbar habe ich ihr nicht gut genug erklärt, dass ich sie mitnehmen will auf meinem Weg, der jetzt vielleicht bergauf geht, dass es für sie eine Chance ist, sich in dem Frauenfilm als Fotografin vorzustellen, und dass man, wenn man sich in einem Filmporträt zeigt, durchaus die Wahrheit sagen muss. Marita schreibt mir noch eine Mail. Ein bisschen konfus, nicht immer logisch, aber umso verletzender. Meine Ratschläge empfand sie als Affront, Gedanken, die ich mir gemacht habe, als Einmischung und meine Ideen als Bevormundung. Sie sei doch keine lahme Milchkuh, der man nur zureden müsse, und dann käme schon noch ein Tropfen. Darüber muss ich lachen. Das Lachen vergeht mir, als Marita schreibt, sie habe sich von mir belästigt gefühlt, als ich ihr versuchte zu helfen: »Vielleicht gehört das auch mit zu den Sachen, die ich an Dir einfach zum Kotzen finde.« Sie schreibt: »Die Reihenfolge meiner Selbstdarstellung hast du umgedreht. Warum? Warum hast Du das getan? Warum hast du nicht meine genommen? Du schreibst mir: Irgendeine Reihenfolge musste ich doch nehmen. Ich kann es Dir sagen. Es geht um Entwürdigung. Nicht um meine, sondern überhaupt. Du brauchst es, Menschen herabzusetzen, um Dich selber besser zu fühlen, Und zwar unter dem Deckmantel der Hilfsbereitschaft.« Ich bin erschüttert. Es ginge mir nicht darum, ihr in dem geplanten Reportagefilm eine Stimme zu geben, es ginge
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