Vom Kriege
Rückenangriffe in der Regel günstiger auf den Erfolg nach der Entscheidung wirken, als auf die Entscheidung selbst. Nun ist bei Herstellung eines Gefechts vor allen Dingen erst die günstige Entscheidung zu suchen, und nicht die Größe des Erfolges. In dieser Rücksicht sollte man also glauben, daß eine Hilfe, die zur Herstellung unseres Gefechts herbeieilt, weniger günstig wird, wenn sie dem Gegner in Seite und Rücken geht, also getrennt von uns, als wenn sie sich gerade mit uns vereinigte. Gewiß fehlt es nicht an Fällen, wo dem so ist; allein man muß doch sagen, daß die Mehrheit auf der andern Seite sich finden wird, und zwar wegen des zweiten Punktes, welcher uns hier wichtig ist.
Dieser zweite Punkt ist die moralische Kraft der Überraschung, welche eine zur Herstellung eines Gefechts herbeieilende Hilfe in der Regel für sich hat.
Die Wirkung einer Überraschung in Seite und Rücken aber ist immer gesteigert, und ein in der Krisis des Sieges Begriffener ist in seinem ausgereckten und zerstreuten Zustande weniger imstande, ihr entgegenzuwirken. Wer fühlt es nicht, daß ein Seiten- und Rückenanfall, welcher im Anfang des Gefechts, wo die Kraft gesammelt, und solchen Fällen immer vorgesehen ist, wenig bedeuten würde, ein ganz anderes Gewicht im letzten Augenblick des Gefechts bekommt!
Wir müssen also unbedenklich einräumen, daß in den meisten Fällen eine von der Seite oder im Rücken des Gegners herbeikommende Hilfe viel wirksamer sein, sich wie dasselbe Gewicht an einem längeren Hebelarm verhalten wird, so daß man also unter solchen Umständen die Herstellung eines Gefechts mit derselben Kraft unternehmen kann, die auf dem geraden Wege nicht zugereicht haben würde. Hier, wo die Wirkungen fast jeder Berechnung ausweichen, weil die moralischen Kräfte ganz das Übergewicht gewinnen, ist das rechte Feld der Kühnheit und des Wagens.
Auf alle diese Gegenstände also muß das Augenmerk gerichtet, alle diese Momente zusammenwirkender Kräfte müssen in Betrachtung gezogen werden, wenn man in zweifelhaften Fällen entscheiden soll, ob einem nachteiligen Gefechte wieder aufgeholfen werden könne oder nicht.
[220] Ist das Gefecht noch nicht als beendigt anzusehen, so wird das neue, welches vermittelst der herbeieilenden Hilfe eröffnet wird, mit dem früheren in eins, also in ein gemeinschaftliches Resultat zusammenfließen, und der erste Nachteil verschwindet dann ganz aus der Rechnung. So ist es aber nicht, wenn das Gefecht schon entschieden war; dann gibt es zwei voneinander getrennte Resultate. Ist nun die herbeieilende Hilfe nur von einer verhältnismäßigen Stärke, d. h. dem Gegner nicht an und für sich schon gewachsen, so ist schwerlich auf einen günstigen Erfolg dieses zweiten Gefechts zu rechnen; ist sie aber so stark, daß sie das zweite Gefecht ohne Rücksicht auf das erste unternehmen kann, so kann sie das letzte zwar durch einen günstigen Erfolg ausgleichen und überwiegen, aber nie aus der Rechnung verschwinden machen.
In der Schlacht von Kunersdorf eroberte Friedrich der Große im ersten Anlauf den linken Flügel der russischen Stellung und nahm 70 Geschütze; am Ende der Schlacht war beides wieder verloren und das ganze Resultat dieses ersten Gefechts aus der Rechnung verschwunden. Wäre es möglich gewesen, hier innezuhalten und den zweiten Teil der Schlacht bis auf den kommenden Tag zu verschieben, so würden, selbst wenn der König sie verlor, die Vorteile des ersten immer daran abgeglichen werden können.
Aber es verschwindet, indem man ein nachteiliges Gefecht noch vor seinem Schluß auffaßt und wendet, nicht bloß sein Minusresultat für uns aus der Rechnung, sondern es wird auch die Grundlage eines größeren Sieges. Wenn man sich nämlich den taktischen Hergang eines Gefechts genau vorstellt, so sieht man leicht, daß, bis es geschlossen ist, alle Erfolge der Teilgefechte nur suspendierte Urteile sind, die durch den Haupterfolg nicht bloß vernichtet, sondern in entgegengesetzte umgewandelt werden können. Je mehr unsere Streitkräfte bereits zugrunde gerichtet sind, um so mehr feindliche werden sich daran aufgerieben haben, um so größer wird also die Krisis auch beim Feinde sein, und um so größer wird das Übergewicht unserer frischen Kräfte werden. Wendet sich nun der Totalerfolg für uns, entreißen wir dem Feinde das Schlachtfeld und die Trophäen wieder, so werden alle Kräfte, die sie ihm gekostet haben, ein barer Vorteil für uns, und unsere frühere
Weitere Kostenlose Bücher