Vom Kriege
einzelnen für sich bestehenden Erfolgen zusammengesetzt ist, bei denen, wie im Spiel bei den Partien, die vorhergehenden keinen [581] Einfluß auf die nachfolgenden haben. Hier kommt es also nur auf die Summe der Erfolge an, und man kann jeden einzelnen wie eine Spielmarke zurücklegen.
So wie die erste Vorstellungsart ihre Wahrheit aus der Natur der Sache schöpft, so finden wir die der zweiten in der Geschichte. Es gibt eine Unzahl von Fällen, wo ein kleiner mäßiger Vorteil hat gewonnen werden können, ohne daß sich daran irgendeine erschwerende Bedingung geknüpft hätte. Je mehr das Element des Krieges ermäßigt ist, um so häufiger werden diese Fälle, aber so wenig wie je in einem Kriege die erste der Vorstellungsarten vollkommen wahr ist, ebensowenig gibt es Kriege, wo die letztere überall zutrifft und die erstere entbehrlich wäre.
Halten wir uns an die erste dieser beiden Vorstellungsarten, so müssen wir die Notwendigkeit einsehen, daß ein jeder Krieg von Hause aus als ein Ganzes aufgefaßt werde und daß beim ersten Schritt vorwärts der Feldherr schon das Ziel im Auge habe, wohin alle Linien laufen.
Lassen wir die zweite Vorstellungsart zu, so können untergeordnete Vorteile um ihrer selbst willen verfolgt und das Weitere den weiteren Ergebnissen überlassen werden.
Da keine dieser beiden Vorstellungsarten ohne Resultat ist, so kann die Theorie auch keine derselben entbehren. Der Unterschied aber, den sie im Gebrauch derselben macht, besteht darin, daß sie fordert, die erstere als die Grundvorstellung auch überall zugrunde zu legen und die letztere nur als eine Modifikation zu gebrauchen, die durch die Umstände gerechtfertigt wird.
Wenn Friedrich der Große in den Jahren 1742, 1744, 1757 und 1758 von Schlesien und Sachsen aus eine neue Offensivspitze in den österreichischen Staat hineintrieb, von der er recht gut wußte, daß sie nicht zu einer neuen dauernden Eroberung führen konnte, wie die von Schlesien und Sachsen war, so geschah es, weil er damit nicht die Niederwerfung des österreichischen Staates, sondern einen untergeordneten Zweck, nämlich Zeit- und Kraftgewinn beabsichtigte, und er durfte diesen untergeordneten Zweck verfolgen, ohne zu fürchten, daß er damit sein ganzes Dasein auf das Spiel setzte 14 . [582] Wenn aber Preußen 1806 und Österreich 1805 und 1809 sich noch ein viel bescheideneres Ziel vorsetzte, nämlich die Franzosen über den Rhein zu treiben, so konnten sie das vernünftigerweise nicht, ohne im Geiste die ganze Reihe der Begebenheiten zu durchlaufen, die sich sowohl im Fall des guten als schlechten Erfolges wahrscheinlich an den ersten Schritt anknüpfen und bis zum Frieden führen würde. Dies war ganz unerläßlich, sowohl um bei sich auszumachen, wie weit sie ihren Sieg ohne Gefahr verfolgen konnten, als wie und wo sie den feindlichen Sieg zum Stehen zu bringen imstande wären.
Worin der Unterschied beider Verhältnisse sei, zeigt eine aufmerksame Betrachtung der Geschichte. Im achtzehnten Jahrhundert, zur Zeit der Schlesischen Kriege, war der Krieg noch eine bloße Angelegenheit des Kabinetts, an welchem das Volk nur als blindes Instrument teilnahm; im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts standen die beiderseitigen Völker in der Waagschale. Die Feldherren, welche Friedrich dem Großen gegenüberstanden, waren Männer, die im Auftrag handelten, und eben deswegen Männer, in welchen die Behutsamkeit ein vorherrschender Charakterzug war; der Gegner der Österreicher und Preußen war, um es kurz zu sagen, der Kriegsgott selbst.
Mußten diese verschiedenen Verhältnisse nicht ganz verschiedene Betrachtungen veranlassen? Mußten sie nicht im Jahre 1805, 1806 und 1809 den Blick auf das äußerste der Unglücksfälle als auf eine nahe Möglichkeit, ja als auf eine große Wahrscheinlichkeit richten und mithin zu ganz andern Anstrengungen und Plänen führen, als solche, deren Gegenstand ein paar Festungen und eine mäßige Provinz sein konnten?
Sie haben es nicht in gehörigem Maße getan, wiewohl die Mächte Preußen und Österreich bei ihren Rüstungen die Gewitterschwere der politischen Atmosphäre hinreichend fühlten. Sie haben es nicht vermocht, weil sie damals noch nicht so deutlich von der Geschichte entwickelt waren. Eben jene Feldzüge von 1805, 1806 und 1809 sowie die späteren, haben es uns so sehr erleichtert, den Begriff des neueren, des absoluten Krieges in seiner zerschmetternden Energie davon zu abstrahieren.
Die Theorie fordert also, daß
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