Vom Kriege
seinen Platz zu lassen, aller natürlichen Schwere und Reibung der Teile, der ganzen Inkonsequenz und Verzagtheit des menschlichen Geistes; wir werden die Ansicht fassen müssen, daß der Krieg und die Gestalt, welche man ihm gibt, hervorgeht aus augenblicklich vorhergehenden Ideen, Gefühlen und Verhältnissen, ja wir müssen, wenn wir ganz wahr sein wollen, einräumen, daß dies selbst der Fall gewesen ist, wo er seine absolute Gestalt angenommen hat, nämlich unter Bonaparte.
Müssen wir das, müssen wir zugeben, daß der Krieg entspringt und seine Gestalt erhält nicht aus einer endlichen Abgleichung aller unzähligen Verhältnisse, die er berührt, sondern aus einzelnen unter ihnen, die gerade vorherrschen: so folgt von selbst, daß er auf einem Spiel von Möglichkeiten, Wahrscheinlichkeiten, Glück und Unglück beruht, in dem sich die strenge logische Folgerung oft ganz verliert und wobei sie überhaupt ein sehr unbehilfliches, unbequemes Instrument des Kopfes ist; auch folgt dann, daß der Krieg ein Ding sein kann, was bald mehr, bald weniger Krieg ist.
Dies alles muß die Theorie zugeben, aber es ist ihre Pflicht, die absolute Gestalt des Krieges obenan zu stellen und sie als einen allgemeinen Richtpunkt zu brauchen, damit derjenige, der aus der Theorie etwas lernen will, sich gewöhne, sie nie aus den Augen zu verlieren, sie als das ursprüngliche Maß aller seiner Hoffnungen und Befürchtungen zu betrachten, um sich ihr zu nähern, wo er es kann oder wo er es muß.
Daß eine Hauptvorstellung, welche unserem Denken und Handeln zugrunde liegt, ihm auch da, wo die nächsten Entscheidungsgründe aus ganz andern Regionen kommen, einen gewissen Ton und Charakter gibt, ist ebenso gewiß, als daß der Maler seinem Bilde durch die Farben, womit er es untermalt, diesen oder jenen Ton geben kann.
Daß die Theorie dies jetzt mit Wirksamkeit tun kann, verdankt sie den letzten Kriegen. Ohne diese warnenden Beispiele von der zerstörenden Kraft des losgelassenen Elementes würde sie sich vergeblich heiser schreien; niemand würde für möglich halten, was jetzt von allen erlebt ist.
Würde Preußen im Jahre 1798 es gewagt haben, mit 70000 Mann in Frankreich einzudringen, wenn es geahnt hätte, daß der Rückschlag im Fall des Nichtgelingens so stark sein würde, das alte europäische Gleichgewicht über den Haufen zu werfen?
[580] Würde Preußen im Jahr 1806 den Krieg gegen Frankreich mit 100000 Mann angefangen haben, wenn es erwogen hätte, daß der erste Pistolenschuß ein Funken in den Minenherd sei, der es in die Luft sprengen sollte?
Drittes Kapitel
A. Innerer Zusammenhang des Krieges
Je nachdem man die absolute Gestalt des Krieges oder eine der davon mehr oder weniger entfernten wirklichen im Auge hat, entstehen zwei verschiedene Vorstellungen von dem Erfolge desselben.
Bei der absoluten Gestalt des Krieges, wo alles aus notwendigen Gründen geschieht, alles rasch ineinandergreift, wenn ich so sagen darf, wesenloser neutraler Zwischenraum entsteht, gibt es wegen, der vielfältigen Wechselwirkungen, die der Krieg in sich schließt 11 , wegen des Zusammenhanges, in welchem, strenggenommen, die ganze Reihe der aufeinanderfolgenden Gefechte steht 12 , wegen des Kulminationspunktes, den jeder Sieg hat, über welchen hinaus das Gebiet der Verluste und Niederlagen angeht 13 , wegen aller dieser natürlichen Verhältnisse des Krieges, sage ich, gibt es nur einen Erfolg, nämlich den Enderfolg. Bis dahin ist nichts entschieden, nichts gewonnen, nichts verloren. Hier ist es, wo man sich unaufhörlich sagen muß, das Ende krönt das Werk. In dieser Vorstellung ist also der Krieg ein unteilbares Ganze, dessen Glieder (die einzelnen Erfolge) nur Wert haben in Beziehung auf dies Ganze. Die Eroberung von Moskau und von halb Rußland 1812 hatte für Bonaparte nur Wert, wenn sie ihm den beabsichtigten Frieden verschaffte. Sie war aber nur ein Stück seines Feldzugsplans, und in diesem fehlte noch ein Teil, nämlich die Zertrümmerung des russischen Heeres; denkt man sich diese zu den übrigen Erfolgen hinzu, so war der Friede so gewiß, wie Dinge der Art werden können. Diesen zweiten Teil konnte Bonaparte nicht mehr erringen, weil er ihn früher versäumt hatte, und so wurde ihm der ganze erste Teil nicht bloß unnütz, sondern verderblich. -
Dieser Vorstellung von dem Zusammenhange der Erfolge im Kriege, welche man als eine äußerste betrachten kann, steht eine andere äußerste gegenüber, nach welcher derselbe aus
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