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Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)

Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)

Titel: Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Kolenda
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Gleich treffe ich einen Bauer,
der weiß, wo sich dein Hund vergnügt.«
    »Vergnügt!
Das arme, hilflose Wesen bellt sich mit Sicherheit vor Kummer und Angst die Seele
aus dem Leib.«
    Schmunzelnd
nahm er seinen Wanderstock und winkte mir zum Abschied.
     
    Nachdem ich mich vergewissert hatte,
dass auch die Wirtin ausgeflogen war, ging in die Garage, um den Schuhkarton durchzusehen.
Am Morgen hatte ich ihn dort stehen lassen, denn er stank wie eine Kiste faules
Gemüse. Aber was soll’s: Die Büchse der Pandora duftete sicher auch nicht nach Rosen.
Auf den verdreckten Fußboden legte ich ein Stück Pappe und leerte den Karton aus.
Zwei Fotos, ein roter Briefumschlag, ein dickes Heft, ein dicht gefüllter Aktenordner.
Zuerst blätterte ich das Heft durch. Handschriftliche Eintragungen. Die letzte lautete:
›13. Juni. Drei Kilo Kartoffeln, ein Kilo Zwiebeln, drei Dosen Rindfleisch, zwanzig
Eier.‹ Eindeutig ein Haushaltsbuch, ich legte es weg und langte nach dem roten Umschlag.
In ihm fand ich einen Brief. Blütenweißes Papier, große Schrift: ›Du bist schön.
Deine Augen sind wie Taubenaugen. Dein Haar ist wie eine Herde Ziegen. Deine Lippen
…‹
    Gelangweilt
überflog ich den weiteren Text. Nichts, außer dass der Verfasser von Tieren auf
Obst umgestiegen war. Er pries Granatäpfel und ähnliches Zeugs an. Interessant war
die letzte Zeile des Briefes: ›PS: Anbei einige schamlose Fotos. Am kommenden Mittwoch
in deiner Wohnung? Deine Lotusblume‹.
    Noch einmal
sah ich in den Briefumschlag hinein. Anzügliches war nicht dabei. Anschließend nahm
ich mir den Aktenordner vor. Hier fand ich ein unscharfes Foto, auf dem zwei Personen
neben einem mannshohen Denkmal posierten. Im Hintergrund waren ein Lastwagen und
Umrisse eines flachen, fensterlosen Gebäudes zu sehen. Auch hier keine Frivolität.
Welches Denkmal das war, ließ sich nicht erkennen, denn der Statue fehlte der Kopf.
Aber bestimmt war es Lenin oder Stalin gewidmet. Eine Erinnerung an die sozialistische
Zeit. Edys beste Lebenszeit. Das andere Foto zeigte drei Personen in einem Büro,
zwei Männer und eine Frau. Das Gesicht eines der Männer war mit einem dicken Stift
umrahmt; darüber stand ein fettes Ausrufezeichen und das Wort ›Dieb!‹. Der Dieb
der Papstskulptur etwa? Den Verdächtigen sah ich mir genauer an. Er hatte eine Narbe,
die sich wie ein Strich vom linken Ohr zum Mundwinkel zog.
    »Den kenn
ich doch!«, ertönte plötzlich die Stimme der Pensionswirtin. Ich hatte nicht bemerkt,
dass sie sich angeschlichen hatte und nun über meine Schulter sah.
    »Wer ist
das?«
    »Der Dieb«,
sagte sie und ging zur Tür hinaus. Sie musste Kohlsuppe kochen.
    Im Nu war
die Kiste vom Boden weggeräumt, ich folgte ihr in die Küche.
    »Ja!« Die
Wirtin fuchtelte aufgeregt mit dem Schneidemesser in der Luft. »Das ist er! Der
Dieb! Er hat das Gesicht eines Verbrechers! Diese Augen, und erst die Narbe! Eine
Bestie!«
    »Kennen
Sie den Mann?«
    »Haha! Und wie ich ihn kenne!«
    Ich schnappte
nach Luft. In der Küche konnte man getrost einen zünftigen Saunagang absolvieren,
wenn man es liebte, dass die Dämpfe nach gekochtem Weißkohl rochen. Von der Küchenrolle
riss ich ein Blatt ab und wischte mir den Schweiß von der Stirn ab. »Kennen Sie
den Mann persönlich, Frau Kochmann?«
    »Was heißt
hier persönlich?«
    »Wissen
Sie zum Beispiel, wie er heißt oder wo er wohnt?«
    »Wo denken
Sie hin! Glauben Sie, ich verkehre mit einem Verbrecher?«
    »Aber Sie
haben ihn gesehen?«
    Aus dem
Weidenkorb nahm sie einen Kohlkopf und legte ihn auf das Schneidebrett. »Ja, letzte
Woche.«
    »Und wo?«
    Sie tat
sehr beschäftigt, brachte den Weißkohlkopf in eine stabile Lage, holte aus, und
teilte ihn gekonnt mit einem Messerhieb in zwei Hälften.
    »Wo haben
Sie den Mann mit der Narbe getroffen?«
    Erneut schwang
sie ihr Messer und hieb damit eifrig auf den Kohl ein, dass ich mich eng an die
Wand drückte, um jeder Verwechslung mit dem Gemüse zu entgehen.
    »Bei einem
Fleischer in Cieplice. Er hat dort eingekauft.« Sie schüttelte plötzlich so heftig
ihren Kopf, als wollte sie die Kochmütze abwerfen. »Ich kriege richtig Gänsehaut.
Bin ich jetzt in Gefahr?«
    »Warum?«
    »Da fragen
Sie? Ich habe einen Verbrecher gesehen!«
    »Keine Angst.
Keiner würde eine aufgeregte Frau, die ein Messer so groß wie eine Machete in der
Hand hält, freiwillig bedrängen.«
    »Sie müssen
auf der Stelle zur Polizei gehen, Frau Lem.«
    »Wozu?«
    »Um das
Foto zu

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