Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)
trockene Härte wieder. Inspektor Kowalski ließ mir
keine Wahl, ich musste bluffen. »Edy besaß Informationen über alles, was im Städtchen
passiert. Er wollte mir einen Hinweis auf den Unfalltod von Czarnecki geben. Jan
ist unschuldig.«
Der Gesetzeshüter
schien unbeeindruckt. »Die Staatsanwaltschaft findet die Beweislage ausreichend.
Jan Linde verbleibt bis zur Aufklärung der Sachlage in Untersuchungshaft.«
Ich stöhnte.
»Ich bin müde, ich muss schlafen.«
Der grässliche
Mensch machte keine Anstalten zu gehen. »Erinnern Sie sich, was Sie mit Edy getrunken
haben?«
»Wir haben
nichts zusammen getrunken.«
»Sie waren
angetrunken, als Sie ankamen?«
»Aber nein.
Ich war nüchtern, und Edy war schon tot, als ich kam.«
»Also haben
Sie erst danach getrunken. Auf den Schreck. Keine Angst, das ist nicht strafbar,
ich kann es gut verstehen.«
»Nein, nein!
Ich bin sofort rausgerannt, um Hilfe zu holen. Sehen Sie mich an. Woher kommen meine
Wunden? Ist das kein Beweis?«
»Wofür?«
Die wunde
Stelle an meinem Hinterkopf pochte schmerzhaft, ich weinte beinah. »Für den Überfall.
Im Flur hat mir jemand eins übergezogen und mein Gesicht mit einer brennenden Substanz
übergossen. Ich habe eine Kopfwunde und meine Gesichtshaut ist verbrannt.«
»Kein Wunder«,
sagte der Inspektor ohne eine Spur Mitleid in der Stimme. »Sie lagen im Brennnesseldickicht
am Ufer, und der Wodkageruch war deutlich wahrnehmbar. Sie sind stark alkoholisiert
gestolpert und haben sich dabei die Kopfverletzung zugezogen.«
»Nein!«
»Sie haben
mich schon einmal angelogen, Frau Lem …«
Nachtragend
war der Inspektor also auch, ich schluchzte laut auf. »Der Mörder von Edy wollte
auch mich umbringen.«
»Da ist
was Wahres dran.« Er nickte. »Den haben wir geschnappt. Wir suchen nun die Hintermänner.«
»Wer …?«
Meine Stimme brach ab.
Mit wichtiger
Miene zog er eine leere Flasche mit der Aufschrift ›Wódka czysta‹ aus seiner Aktentasche
heraus und hielt sie dicht vor mein Gesicht. »Das ist der Mörder!«
Aha, ich
bin immer noch bewusstlos und träume nur, schoss es mir durch den Kopf. »Witzig,
sehr witzig.«
»Wie Sie
meinen«, hallte seine Stimme deutlich und ganz nah.
Also war
es kein Traum.
»Erinnern
Sie sich, bei wem Sie diese Flasche gekauft haben, Frau Lem?«
»Ich trinke
lieber ›Pan Tadeusz‹.«
»Sie sind
seltsam stur. Geben Sie einfach zu, bei dem Trinkgelage dabei gewesen zu sein, wo
Sie zum Glück die richtige Flasche erwischt haben. Edy ist ausgerechnet diese eine
Flasche nicht sehr gut bekommen.«
»Ein lächerlicher
halber Liter?«
»Ja. Für
ihn war es die letzte Flasche seines Lebens.«
»Wieso?
Er hat doch sonst um einiges mehr vertragen.«
»Aber einen
halben Liter Alkohol mit Methanol angereichert hat noch keiner überlebt.«
Müde schloss
ich die Augen, ich musste darüber nachdenken. Der lästige Ermittler raubte mir die
Kraft, die ich für meine Genesung brauchte.
Als ich
die Augen aufschlug, war der Inspektor verschwunden. Meiner Gesundheit war das zuträglich.
Ich rief eine Krankenschwester herbei und drückte ihr einen Geldschein in die Hand.
Zehn Minuten später trafen ein zweites Kissen, frischer Tee und ein besorgter Arzt
an meinem Bett ein. Im Nu saß ich aufrecht und erzählte laut, wie gut es mir ginge.
Nachdem
mich der Arzt untersucht hatte, zuckte er mit den Schultern. »Ich werde Sie auf
keinen Fall gegen Ihren Willen hier behalten. Das Bett wird eh dringend gebraucht.«
Er hetzte zur Tür hinaus.
Unter den neidischen Blicken meiner
sechs Zimmergenossinnen zog ich mich an, bestellte ein Taxi und fuhr in die Pension
zurück. Das Haus war angenehm leer, keiner stellte dumme Fragen, ich setzte mich
im Speisezimmer ans Fenster. Unter dem Apfelbaum saßen Enten und warteten auf Ben
und seine Haferflocken.
Das Telefon
klingelte, Jans Anwalt war am Apparat. Seine Sekretärin stehe soeben mit einem großen
Blumenstrauß im Krankenhaus, und ich wäre nicht mehr da. Was sollte er seinem Mandanten
ausrichten? Wie krank ich eigentlich wäre?
»Mir ist
nichts passiert«, sagte ich. »Ich habe mich nur vorsichtshalber untersuchen lassen,
nachdem ich beim Spazieren am Fluss ausgerutscht bin.«
Der Anwalt
versprach, dass mich Jan Linde spätestens heute Abend in die Arme schließen würde.
Als freier Mensch.
Nach kurzer
Zeit rief er mich noch mal an. Herr Linde käme erst morgen frei. Es bestehe aber
kein Grund zur Besorgnis, sagte er, es hapere noch an zwei
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