Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)
Vater behauptet, mit Dieben bist du vertraut. Er meinte, du kennst einige.«
Eine weitere
Handvoll Pralinen wanderte in ihren Mund. »Das stimmt! Ich kenne allerhand Ganoven.
Die Bauverbrecher haben mich ruiniert. Mein Schloss sieht schlimmer aus als im Jahre
1420, nach der Zerstörung durch die Hussiten.«
Die Geschichte,
die sie mir erzählte, war typisch für diese Gegend und die heutige Zeit. Vor fünf
Jahren hatte sie beschlossen, einen standesgemäßen Familiensitz zu kaufen. Ein großes
Domizil und gleichzeitig ein Hotel für anspruchsvolle Touristen. In der Gegend wimmelte
es nur so von uralten Herrenhäusern und verfallenen Fürstenresidenzen, die auf einen
Käufer warteten. Für den sprichwörtlichen einen Złoty kaufte sie ein baufälliges
Schloss mit verwildertem Park. Frühere Besitzer der Immobilie waren unter anderem
die Grafen Schaffgotsch. Im Laufe der Jahrhunderte wurde das Schloss oft umgebaut.
Je nachdem, welchen Stil sein Besitzer bevorzugte. Nach Kriegsende 1945 wurde das
Schloss zunächst der Plünderung und dann der Witterung preisgegeben. Alix investierte
ein Vermögen für den Wiederaufbau, aber das Schloss schien mit einem Fluch belegt
zu sein. Kaum waren die Wände einigermaßen restauriert, fegte ein Sturm das Dach
weg. Als das Dach endlich fertig war, stürzten die Wände ein. Teurer und grausamer
als alle Schäden durch Naturgewalten waren jedoch die Handwerker. Sie waren dabei,
Alix Robotka, eine patente Frau, ins Grab zu bringen. Finanziell ruiniert hatten
sie sie bereits.
Zuerst seufzte
ich voller Mitleid für alle Häuslebauer der Welt, dann zog ich ein Foto aus meiner
Handtasche. »Das ist auch ein Dieb. Kennst du den Mann?«
»Nein, den
kenne ich ausnahmsweise nicht persönlich. Was hat er angerichtet?«
»Eine wertvolle
Skulptur geklaut.«
»Nur eine?«,
sie prustete respektlos auf. »22 Putten sind in einer Nacht aus meinem Garten verschwunden,
samt teuren Rosenstöcken.«
»Und hast
du die Polizei eingeschaltet?«
»Haha! Natürlich,
habe ich das getan. Haha!« Sie knallte den Deckel auf die Pralinendose. »Bedaure,
Valeska, augenblicklich habe ich keinen Sinn für Humor und keine Zeit. Ich würde
dir gerne weiterhelfen, aber nicht jetzt.«
»Danke trotzdem,
Alix.«
»Ich habe
zu danken.«
»Wofür denn?«
Sie lächelte
verkniffen und schwieg.
Zwei Stunden später stand ich vor
dem Haus, in dem die Redaktion der größten lokalen Zeitung ihren Sitz hatte. Die
Eingangstür sah leicht verändert aus, in der Mitte war sie zersplittert. Das Schild
mit dem stolzen Namen ›Riesengebirge Heute und Morgen‹ baumelte nun an einem Nagel.
Die Klingel funktionierte noch. Nach einer Weile ging die Tür einen Spaltbreit auf
und ein stacheliger Kopf lugte hervor. »Sind Sie alleine?«, lispelte die dünne Stimme.
»Ja.«
»Dann schnell.«
Der Chefredakteur
fasste nach meinen Arm, zerrte mich hinein, drehte zweimal den Schlüssel um und
hing zusätzlich ein Vorhängeschloss davor. Die erwartete unvermeidliche sexuelle
Attacke, die ich mit einem Judogriff abwehren wollte, blieb allerdings aus. Der
Mann lehnte sich an seinen Schreibtisch und jammerte: »Wie sehe ich nur aus … Was
sagen Sie, wie sehe ich aus?«
»Wieso?«,
fragte ich und schaute ihn genau an. Seine rechte Gesichtshälfte war blau und angeschwollen,
die linke zerkratzt. »Ach, Sie meinen Ihr Gesicht. Sie haben einen neuen Visagisten,
stimmt´s?«
»Herr Kochmann«,
stöhnte er.
»Nein!«,
rief ich anerkennend. »Der Exmann unserer Pensionswirtin. Genannt: der Versager.
Der macht sich aber langsam.«
Beleidigt
sah er mich an und betastete vorsichtig die Wange. »Ein Verrückter. Ich verstehe
nicht, was er gegen mich hat. Vor zwei Jahren habe ich über eine Bauaffäre berichtet,
er war der Hauptangeklagte. Erst jetzt verlangt er eine Richtigstellung. Das hat
er mir im Nachhinein gesagt, zuerst hat er die Tür eingetreten und sich auf mich
gestürzt. Verrückt!«
»Wieso?«,
staunte ich. »Das war doch logisch. Wie sollte er Sie durch eine geschlossene Tür
verprügeln? Aber, was anderes, ich habe die Prozessberichte gelesen.«
Das Leben
kehrte in den angeschlagenen Redakteur zurück. »Und? Wie finden Sie sie? Haben sie
Ihnen gefallen?«
»Das spielt
jetzt keine Rolle. Kochmann hatte im Gefängnis genug Zeit, jeden Satz gründlich
zu studieren. Ihre Berichte fand er wahrscheinlich nicht besonders gut.«
»Aber die
waren doch exzellent verfasst! Und ausführlich. Immerhin, zwei volle Ausgaben
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