Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)
umfangreichen
Bericht vor. Sein Vorgesetzter, seit Jahren für amtliche Ausschreibungen zuständig,
handelte sofort: Er versetzte den eifrigen Mitarbeiter in die historische Abteilung,
wo er zum Projektleiter in der Dokumentation der ersten slawischen Besiedlung des
Oderlands befördert wurde – Projektlaufzeit zwölf Jahre! Bevor sich der neue Leiter
an die Arbeit machte, lancierte er ein dickes Dossier über die Vorfälle an einen
befreundeten Journalisten. Ein scharf verfasster Zeitungsartikel brachte die Sache
an die Öffentlichkeit. Bis zur Prozesseröffnung verging allerdings genügend Zeit,
sodass Aktenmaterial nicht mehr auffindbar war und die Erinnerung sowohl bei den
Mitarbeitern im Bauamt wie auch bei der Baufirma mehr und mehr verblasste. Im Laufe
des Prozesses zog die Affäre immer kleinere Kreise und bevor sie als dünner, unbedeutender
Aktenordner im Kosmos der Justiz verschwand, fütterte man die Presse mit kleinen
Sensationshäppchen. Unter Anklage stand nicht mehr Ronald Czarnecki. Er konnte nachweisen,
dass er eine Firma als Subunternehmer beauftragt hatte, die ihre Arbeit unterlassen
hatte. Und so war auf der Anklagebank nur der Chef der besagten Baufirma geblieben:
Herr Kochmann. Die Presse hatte gejubelt: ›Alle Verdächtigen, bis auf Kochmann,
wurden vom Verdacht der Korruption und Unterschlagung freigesprochen. Der Bauunternehmer,
der bis zum letzten Prozesstag die Schuld vehement von sich wies, hat nachweislich
Millionenbeträge für nicht ausgeführte Aufträge kassiert. Dafür wird er rechtsgültig
verurteilt. Um die Rückforderung zu bezahlen, muss der Angeklagte sein Haus verkaufen.‹
Auf dem
Foto sah man den lachenden Kochmann vor seinem Haus inmitten eines großen Gartens.
Voller Wut
knüllte er die Zeitung zusammen, warf sie in Richtung Mülleimer – sie landete daneben.
Er hob sie wieder auf, strich sie glatt und legte sie in eine Kiste. »Das ist die
Vergangenheit, ich habe die Rechnung für meine Dummheit bezahlt. Und nun? Was soll
ich nun machen?«
»Sie können
etwas Neues anfangen.«
»Was denn?«
Er blickte noch verzweifelter drein. »Noch mal wie damals kurz nach der Wende? Nein,
das würde ich nicht mehr schaffen.«
»Aber wieso
nicht?«
Nachdenklich
strich er sich über sein zerzaustes Haar. »Wieso? Die Zeiten sind vorbei, ich habe
die Kraft nicht mehr. Es war ein langer, schwerer Weg. Ganz klein habe ich angefangen.
Tagsüber habe ich selbst gedrehte Kerzen verkauft, nachts züchtete ich Champignons
im Keller, und im Nebenberuf besprach ich Fußwarzen und Furunkel. Diese Zeit vermisse
ich, Geld verdiente ich genug. Dann aber ritt mich der Teufel, ich gründete eine
Baufirma und die Sache lief aus dem Ruder.«
»Sie könnten
die kleine Pension mit Ihrer Frau zusammen führen«, schlug ich vor und korrigierte
sofort: »Mit Ihrer Exfrau. Wenn das noch geht.«
»Von mir
aus, ja, mit Handkuss. Ich bin gelernter Koch. Und ich mag meine Exfrau immer noch,
aber zu recht ließ sie sich von mir scheiden. Ich bin ein Versager, ich habe zu
spät bemerkt, in was ich mich da habe hineinmanövrieren lassen. Ein Esel bin ich.
Meine Frau liebt starke, erfolgreiche Männer. Solche, die mit der Faust auf den
Tisch hauen.« Er schaute verzweifelt auf seine zarten Hände.
»Herr Kochmann,
dann tun Sie etwas, damit sie ihre Meinung ändert.«
»Und was?«
»Na, keine
Ahnung? Was machen unerschrockene Helden, wen sie ihre Liebe beweisen wollen? Sie
kämpfen, bezwingen ihren Gegner und holen sich die Belohnung.«
»Hab ich
doch schon«, sagte er stolz. »Dem Reporter hab ich’s gegeben.«
»Ach, das
zählt nicht. Die echten Kerle verprügeln keine schmierigen Zeitungsfritzen. Das
bringt nichts!«
Mit der
Hand schlug er sich gegen die Stirn. »Dass ich nicht sofort darauf gekommen bin!
So mache ich es! Ich werde eigenhändig meinen Feind töten.«
»Nein, das
meinte ich gar nicht!«
»Keine falsche
Bescheidenheit, Frau Lem.« Er knöpfte sein Hemd zu und richtete sich auf. »Sie haben
mir wirklich geholfen. Nun versuchen Sie nicht, mich davon abzubringen. Sie werden
sehen, danach wird mich keiner mehr einen Versager nennen.«
»Was wollen
Sie jetzt machen?«
»Das, was
ein Mann tun muss. Ein echter Mann, ein Draufgänger.«
Seine Augen
glänzten irgendwie verrückt. Der angehende Held machte sich zum Kampf bereit. Energisch
putzte er seine Stiefel, warf einen schwarzen Regenmantel über und durchwühlte seine
Schubladen. Bestimmt auf der Suche nach einer Waffe. Dabei pfiff
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