Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)
Augenblicklich bin ich in Eile, ich muss
für meine Geschichten recherchieren.«
»Kann ich
mitkommen?«
Selbstredend
war ich einverstanden. Verzweifelte Menschen neigen gewöhnlich zu unüberlegten Handlungen,
wenn sie sich selbst überlassen werden.
Die Herrschaften Robotka, beide
in weite blaue Kleider gehüllt, nahmen ihren Nachmittagstee auf einer karierten
Wolldecke im Schatten eines Betonmischers ein, in den Herr Matuschek Sand schaufelte.
»Guten Tag!«,
brüllte Kurt gegen das Gekreische des Mischers an. »Wir wollen Ihr gemütliches Picknick
wirklich nicht stören, aber …«
»Wir empfangen!«
Viktor Emanuel Robotka sprang von der Decke auf und lief fröhlich zum Zaun. Sein
weites Kleid wickelte sich dabei um seine Beine und brachte ihn zu Fall.
»Louise,
ich habe gleich gesagt, dass mir nur kurze Röcke stehen«, sagte er weinerlich.
Louise befahl
mit einer Handbewegung, den Betonmischer abzustellen.
Ihre Geste
verletzte wohl die Gefühle des sensiblen Arbeiters, er stieß die Schaufel in den
Sandberg. »Also, entweder darf ich in Ruhe arbeiten oder ich verschwinde.«
»Herr Matuschek«,
die adelige Louise bäumte sich vor ihm auf. »Sie werden keinen verflixten Schritt
von hier wegtun, bevor Sie nicht mit dem Dach fertig sind. Und jetzt laden Sie hurtig
die Dachziegel ab.«
»Aber mein
Karma ist kaputt.« Sein Gesicht verzerrte sich schmerzhaft. »Ich brauche unbedingt
ein Bier.«
»Das können
Sie sich ebenfalls abschminken. Ich habe die Sterne befragt. Das hat mit Ihrem Karma
nichts zu tun, Sie sind ein fauler Sack.«
Entrüstet
schaute er zum Himmel hinauf.
Mit einer
vornehmen Geste lud uns Frau Robotka zum Tee ein. Wir hockten uns auf die Decke
und nippten an unseren Tassen mit dem bitteren Gebräu.
»Gewöhnlich
empfangen wir nur Donnerstag, und da heute Dienstag ist …«, sagte sie nach einer
Weile. »Wenn ich nach dem Zweck Ihres Besuches fragen dürfte.«
»Sex! Sie
wollen Sex mit mir!« Herr Robotka zog das Kleid bis zum Bauch hoch und betrachtete
enttäuscht eine lange Unterhose, die an seinem Unterleib festgeschnallt war. »Der
Gordische Knoten«, murmelte er, fiel rücklings auf die Decke und schlief ein.
»Also?«,
fragte noch mal Frau Robotka. »Was führt Sie zu uns, Frau Lem?«
Bevor ich
mein Notizbuch zückte, lächelte ich voller Anteilnahme. »Ihre Tochter Alix berichtete
mir von der geplatzten Hochzeit Ihres Sohnes. Eine traurige Geschichte.«
Frau Robotka
kniff die Lippen zu einem Strich zusammen. »Kann man wohl sagen. Mein Sohn war für
Karolina wohl nicht gut genug.«
»Ist das
wahr? Bei so einwandfreien adeligen Vorfahren? Was hat die Baronesse, was Sie nicht
haben?«
»Geld«,
zischte sie mit Verachtung. »Ihrer Familie gehört alles, was auf zwei Beinen läuft
und Eier legt. Deshalb wird sie ›Karolina die Eierbaronesse‹ genannt.«
Für einen
Moment hob ich meinen Kopf, dann schrieb ich weiter. Sollten andere Länder ihre
Ölmagnaten oder Stahlbarone haben. In Polen wird Landwirtschaft und Geflügelzucht
großgeschrieben, die Eierbarone sitzen auf der höchsten Sprosse der gesellschaftlichen
Leiter.
Kurt dagegen
spielte die heilige Empörung, er rang die Hände. »Keine Adelige? Nur eine reiche
Erbin?! Und die Dame legt keinen Wert auf Titel, wie unverständlich. Die Eierbaronesse
hat keine Klasse!«
Frau Robotka
schürzte die Lippen. »Die besagte Dame hat kurzfristig einen russischen Pelzhändler
kennengelernt. Es soll Liebe auf den ersten Blick gewesen sein.«
»Und Nicolai?«,
fragte ich und sah verstohlen zu Kurt. »Wie hat er die Schlappe aufgenommen?«
»Erstaunlich
gut«, sagte sie stolz. »Augenblicklich sucht er Arbeit als Gärtner. Allerdings nur
für kurze Zeit; er will so bald wie möglich nach Australien auswandern. Und nicht
allein, hat er gesagt. Sondern mit einem ebenbürtigen, wunderbaren Menschen.«
Herr Pechs
Stimme dröhnte in meinem Kopf: ›Sie haben ihn einfach gehen lassen, Frau Lem! Eine
neue Geschichte ist Ihnen flöten gegangen!‹ Ich musste Nicolai noch vor seiner Abreise
befragen. Wie auf Bestellung hatte ich einen klugen Einfall. Ich sagte: »Herr Schöne
besitzt große Weinberge. Er ist immer auf der Suche nach guten Gärtnern. Das stimmt
doch, Kurt?«
Der Weinbergbesitzer
machte ein verdutztes Gesicht. Erst nach einer Weile begriff er endlich, dass er
seinen Vorgarten unterschätzt hatte. »Ja, natürlich. Ganz große Ländereien. Direkt
vor dem Haus. Überall Weinreben und Tomaten. Dazwischen Petersilie.
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