Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)
Polizei die Abteilung für die Bekämpfung wirtschaftlicher
Verbrechen aufgelöst. Und die Folgen der wirtschaftlichen Anarchie sind unzählige
Straftaten, die bis heute nicht aufgeklärt werden konnten, geschweige denn, dass
die Täter bestraft wurden«, schloss er mit einem schweren Seufzer.
»Nichts
für ungut, Herr Inspektor. Wenn sie einmal als Pensionär in Ihrem Garten sitzen,
können Sie auf ein aufregendes Berufsleben zurückblicken.«
Er sah düster
drein. »Ja, wenn ich mal in einem Garten sitzen würde.«
»Aber unter
uns«, ich senkte die Stimme, »Herr Kochmann ist kein Verbrecher. Das glauben Sie
doch selbst nicht.«
»Das ist
nicht Ihre Angelegenheit!«, sagte Inspektor Kowalski genervt. »Jan Linde ist frei,
freuen Sie sich, Frau Lem, und gehen Sie Ihrer Wege.«
Wie beflügelt verließ ich das Präsidium
und rief Jan sofort an. Auf seinem Handy war er nicht zu erreichen. Sein Anwalt
sagte aber, dass er längst nach Hause gefahren sei, und fügte zufrieden hinzu: »Ein
voller Erfolg. Auch kein Wunder, für mich ist nichts unmöglich. Ich habe von Anfang
an gesagt, den Jungen bekomme ich spätestens in einer Woche frei. Wenn Sie mal in
Schwierigkeiten geraten sollten, Frau Lem, nichts wie zu mir.«
Eine Ewigkeit
lang lobte er seine Anständigkeit, Klugheit und andere wahrscheinlich nicht vorhandene
Züge seines Charakters. Zum Schluss fragte er, ob ich Lust hätte, mit ihm ganz unverbindlich
ins Kino zu gehen. Nein, ich hatte keine Lust.
Bei einer
Straßenverkäuferin erstand ich einen Blumenstrauß, winkte ein Taxi herbei und fuhr
zu Jan nach Hause.
Das Eingangstor
erschien mir heute nicht so hässlich wie sonst, ich drückte die Klingel, grinste
in die Überwachungskamera und wedelte mit meinem Strauß frischer Margeriten. Das
Tor öffnete sich geräuschvoll und einladend. Jan eilte die Treppe herunter, breitete
die Arme aus und lächelte wie ein Seemann, der von einer langen, gefährlichen Seereise
zurückgekehrt war, vom Schicksal gezeichnet, aber glücklich. Fest und kurz drückte
er mich an seine Brust, genau genommen an das davor baumelnde Medaillon, und sagte
verschämt: »Wir gehen lieber ins Haus.«
Im Rittersaal
stellte ich meine Margeriten in eine Blumenvase, setzte mich auf einen Stuhl und
beschloss, auf die Einladung ins Mahagoni-Schlafzimmer zu warten. Oder auf etwas
anderes. Ich bin ja flexibel.
»Valeska«,
Jan legte die Hand an sein Medaillon. »Das Bild werde ich immer bei mir tragen.«
Wann hatte
er ein Foto von mir gemacht? Ich warf einen flüchtigen Blick auf das Bildchen. Besonders
gut getroffen war ich nicht, geschmeichelt war ich trotzdem. »Das ist doch nicht
nötig, Jan, noch bin ich ja in natura da. Schmeiß es weg!«
»Was?« Er
sprang auf, legte seine Hände schützend um das Medaillon. »Die Schwarze Madonna
soll ich wegwerfen? Sie hat mir doch die ganze Zeit beigestanden!«
»Was für
eine Schwarze Madonna?«
»Die Madonna
aus Cz ę stochowa.«
Jan küsste schmatzend das Medaillon. »Sie ist mir im Schlaf erschienen und hat zu
mir gesprochen.«
Aus seiner
zitternden Hand nahm ich die Zigarre und löschte sie zischend im Blumenkübel aus.
»Jan, ganz ruhig. Wir setzen uns jetzt hin.« Ich schob ihn sanft auf einen Stuhl.
»Es ist alles vorbei. Ich bin bei dir.«
»Aber es
ist wahr«, behauptete er trotzig. »Sie trug ein langes blaues Kleid.«
»Selbstverständlich.
Heilige erscheinen nie nackt.«
Er lächelte
selig. »Dann sagte sie zu mir: ›Du bist Jan Linde.‹«
»Na klar.
Sie haben ein phänomenales Namensgedächtnis.«
»Und dann«,
er sah zur Zimmerdecke hinauf, als sehe er direkt in den Himmel, »dann sagte sie
zu mir: ›Ein Kind ist unterwegs.‹«
»Halb so
schlimm. Sie nehmen das nicht so genau mit dem Geschlecht. Du bekommst sicher kein
Kind.«
»Doch!«
»Jan«, ich
nahm ihn fest in die Arme. »Hat man dich gefoltert?«
»Nein.«
»Vielleicht
kannst du dich nicht daran erinnern … Du bist jetzt frei, du brauchst keine Angst
mehr zu haben.«
»Valeska«,
stotterte er. »Ich bin dir so dankbar.«
»Nicht der
Rede wert.«
»Oh doch,
nur dank deiner Hilfe bin ich jetzt frei.«
»Das war
wirklich nur Zufall.«
Mein aufgewühlter
Freund fummelte in seiner Jacketttasche herum. Zeitgleich bereitete ich meinen Ringfinger
auf eine kleine Überraschung vor.
Doch er
zog nur eine neue Zigarre aus der Tasche, zündete sie an und nahm einen so tiefen
Zug, dass ich seine Lunge um Hilfe schreien hörte.
Ȇbrigens,
die Schwarze Madonna
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