Vom Regen in die Traufe
keine Zeugnisse? «
» Ich versprach, sie am n ä chsten Tag vorzulegen, aber kein Mensch fragte mehr danach. «
Hermanni hatte sich allerdings sputen m ü ssen, die Arbeit in der Werkstatt zu erlernen. Nachts las er die einschl ä gigen Lehrb ü cher, aber die Terminologie musste er sich dadurch aneignen, dass er den Gespr ä chen der ä lteren Arbeiter lausc h te. Ungef ä hr ein Jahr lang war Hermanni in der Werkstatt besch ä f tigt, und in dieser Zeit wurde er firm im Beruf. Er prahlte Ra g nar gegen ü ber, dass er auch heute noch imstande w ä re, etwa einen Automotor zu bauen, wenn er die entsprechenden Wer k zeuge und das Zubeh ö r bek ä me, eine Drehbank, eine Fr ä sm a schine, Aluminium, Stahl und Lager. H ä tte er damals nicht zur Armee gemusst, w ä re er vielleicht noch l ä nger in der Werkstatt geblieben.
Ragnar Lundmark fragte, ob Herr Heiskari die Touristenh o tels Lapplands von West nach Ost oder in umgekehrter Ric h tung kennenlernen wollte. Hermanni entschied sich, die Reise im ö stlichen Winkel zu beginnen. Ragnar besorgte Fahrkarten f ü r den Nachtzug aus Helsinki, und so fuhren sie also nach Kemij ä rvi.
W ä hrend der ganzen Nacht prasselte Regen gegen das Fen s ter des Schlafwagenabteils.
Dieser Juli war feucht, st ä ndig regnete es. Das Heu verfaulte auf den Feldern, die Partei der Landleute schimpfte auf die Regierung wegen ihres Beitritts zur EU, und die Urlauber klagten ü ber die k ü hle Witterung. Aber Hermanni Heiskari drehte sich in seinem Schlafwagen erster Klasse zufrieden auf die andere Seite und dachte bei sich, dass es drau ß en ruhig regnen mochte. Hier lag einer, dem das Wetter nichts anhaben konnte.
Im Traum geisterte durch seinen Kopf der schwache Geda n ke, dass er in diesen Himmel der Gen ü sse quasi am Sche n kel einer in Not befindlichen Frau emporgeklettert war – bildlich gesehen –, ganz wie ein gieriger Gigolo. Aber der Gedanke machte ihm kein schlechtes Gewissen, es war ein eher ang e nehmer Traum, und ein Albtraum war es ganz sicher nicht.
Gegen Morgen stoppte der Zug irgendwo ö stlich von Rov a niemi, als w ä re eine Wand vor ihm aufgetaucht. Die Notbre m sung war so abrupt, dass die Reisenden das Gef ü hl hatten, als w ä re der ganze Wagen aus dem Gleis gesprungen. Gewaltiges Donnern war zu h ö ren, als die pneumatischen Bremsen ü ber die Schienen schrammten. Hermanni und Ragnar lugten aus dem Fenster. Drau ß en wurde laut gerufen, und bald liefen einige M ä nner mit einer Trage am Bahndamm entlang. A n scheinend war irgendetwas passiert. Es regnete in Str ö men und war fast finster. Hermanni zog sich den Morgenmantel an und verlie ß das Abteil, er ging zum Ende des Waggons vor, ö ffnete die T ü r und sp ä hte nach vorn zur Lok. Dort wurde eine Leiche auf die Trage gehoben, ein Mann war unter den Zug geraten, sein K ö rper in der Mitte durchtrennt, eindeutig Selbstmord. Sicher ein bedauernswerter Arbeitsloser, sagten die Leute mitleidig, w ä hrend sie aus den offenen T ü ren schauten. Als der Leichnam an Hermannis T ü r vorbeigetragen wurde, floss das Blut des ungl ü cklichen Kerls unter der Decke hervor und tropfte auf den Schotter, wo es sich sofort verteilte und zusa m men mit dem Regen von der Erde aufgesogen wurde.
Hermanni kamen die Worte in den Sinn, die die Pfarrer bei der Beerdigung zu sagen pflegten: Von der Erde bist du g e nommen, zu Erde sollst du wieder werden.
Den Zielbahnhof Kemij ä rvi erreichten sie am Morgen. Sie ü berlegten, ob sie in der Stadt bleiben oder gleich zum Pyh ä tu n turi oder nach Luosto weiterfahren sollten. Hermanni wollte bleiben, und damit war die Sache entschieden.
Sie fuhren mit dem Taxi durch den Regen zum Hotel Koi l liskunta. Unterwegs fragte Ragnar, wie nahe sie jetzt dem Berg Korvatunturi waren. Befand sich das Weihnachtsmannland hier in Kemij ä rvi oder anderswo? Ragnar Lundmark war nie zuvor in dieser Gegend gewesen.
Hermanni sagte ihm, dass sich der Korvatunturi gut hu n dertf ü nfzig Kilometer nord ö stlich von Kemij ä rvi befand. Es war ein ganz gew ö hnlicher Fj ä ll, und er lag au ß erdem an der Grenze zwischen Finnland und Russland. Das Weihnacht s mannland oder vielmehr Verkaufsst ä tten f ü r weihnachtlichen Kitsch gab es in den verschiedensten Gegenden Lapplands, die gr öß ten L ä den fand man am Polarkreis n ö rdlich von Rov a niemi.
» Vor zwei Jahren besuchte ich einen Kurs f ü r Wildmarkf ü h rer in Rovaniemi. Es war eine Arbeitsf ö rderungsma
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