Vom Schicksal bestimmt: Soul Seeker 1 - Roman (German Edition)
Kakerlake verschmelzen soll.
Dafür, dass es sich um ein so geschmähtes, so verhasstes, so verabscheutes, ja sogar gefürchtetes Tier handelt, muss ich staunen, wie mächtig ich mich fühle, seit ich mit ihm verschmolzen bin. Ich bin wie ein kleiner, selbstbestimmter Panzer und krabbele über eine weite Fläche grau gefliesten Toilettenfußbodens, der aus dieser Perspektive endlos scheint.
Ich bahne mir den Weg um ein zerknülltes Papiertaschentuch, das neben den Eimer gefallen ist, und mache in der Ecke eine Pause, der Leib ganz still, während die Fühler nach wie vor zittern, und ich überlege, ob ich unter der Tür durchschlüpfen kann oder ob ich warten muss, bis sie jemand aufmacht. Da der Spalt für mein Empfinden zu eng ist, bleibt mir nichts anderes übrig, als abzuwarten. Und so quetsche ich mich in die Ecke und hoffe, dass bald jemand hereinkommt, damit ich die Gelegenheit ergreifen kann hinauszuhuschen.
Die Tür fliegt auf und knallt so heftig gegen die Wand, dass ich für den kleinen Gummistopper dankbar bin, der sie daran hindert, echten Schaden anzurichten. Vor meinen Augen spazieren ein Paar kniehohe, schwarze Stiefel, ein Paar spitze, rote Slipper und ein Paar schwindelnd hohe, silberne
Stilettos herein. Ich versuche, den richtigen Moment abzupassen, um mich davonzumachen, als mir klar wird, dass die Schuhe zu Lita und der Fiesen Front gehören. Und soweit ich ihnen folgen kann, reden sie über mich.
»Was hat sie denn da für eine Jacke an?«, sagt das Mädchen mit den grellrosa Lippen, das laut Xotichl entweder Jacy oder Crickett heißt, nur dass ich die beiden nicht auseinanderhalten kann.
»Mal ehrlich«, fällt die andere mit ein, die mit den besten blonden Strähnchen von dem ganzen Haufen. »Was hat sie überhaupt insgesamt an?«, giftet sie und schaut Lita Beifall heischend an.
Ich sehe zwischen der Tür und ihnen hin und her. Sie fällt allmählich zu, ist aber noch weit genug offen, um mir eine leichte Flucht zu ermöglichen. Wenn ich jetzt sofort darauf zurenne, können sie mich unmöglich sehen, und ich bin einfach weg.
Gerade will ich genau das tun, als Lita zum Spiegel geht und sich direkt davorstellt. »Ich weiß nicht …«, sagt sie.
Die Tür schließt sich. Noch eine Sekunde, und ich muss warten, bis sie wieder hinausgehen.
Schon will ich mit meinen kurzen, spindeldürren, aber dennoch kräftigen Beinen lospreschen, die mich schneller voranbringen, als ich mir je hätte träumen lassen. Doch als ich schon fast draußen bin, geht rosa Lippe auf meine Kabine zu – die, in der sich mein reales Ich momentan aufhält – statt zu der unübersehbar freien direkt daneben, deren Tür weit offen steht.
Ich erstarre. Das kann ich nicht riskieren. Wenn sie es irgendwie schafft hineinzukommen, wenn das Schloss, das ich zweimal kontrolliert habe, irgendwie versagt, ertappt sie mich schlaff auf dem Sitz hängend – mein Körper ist ja anwesend,
auch wenn mein Bewusstsein abwesend ist—, und das könnte ich nie wieder ausbügeln.
Ich ziehe mich wieder in meine Ecke zurück, weil ich keine andere Wahl habe. Meine Fühler zittern vor Frustration, als sie es endlich aufgibt und eine freie Kabine aufsucht – aber erst in dem Moment, als die Außentür endgültig ins Schloss fällt. Meine perfekte Fluchtgelegenheit ist damit erledigt.
Oder auch nicht.
Nicht ganz.
Nicht für etwas so Kleines wie eine Kakerlake.
Das Papiertaschentuch, um das ich vorhin herumgekrochen bin, muss von einer der drei versehentlich weggekickt worden sein, da es nun fest zwischen Türrahmen und Tür klemmt. Der Spalt ist breit genug, dass ich hindurchschlüpfen und mich weiter der Aufgabe widmen kann, für die Paloma mich ausgesandt hat.
Ich krieche darauf zu, wobei ich Lita genau im Auge behalte. Sie steht vor dem Spiegel, umfasst jede Brust mit einer Hand und hebt sie höher in ihren BH hinein, während sie verführerisch ihrem eigenen Spiegelbild zulächelt. »Nimm das, Cade Richter.«
Sie presst die Lippen aufeinander, schüttelt die Haare um ihre Schultern zu neuem Volumen auf, und als sie den Kopf hin- und her dreht, um zu überprüfen, wie hübsch sie ist, muss ich ihr einfach zustimmen. Ich meine, sie könnte ein paar Tipps von Jennika über die richtige Anwendung von Eyeliner vertragen, und die Strähnchen könnten auch deutlich besser sein, aber sie ist trotzdem hübsch. Und ganz egal, wie hässlich sie auch zu mir gewesen ist, es macht mich einfach traurig, dass sie ihre Schönheit so
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