Vom Schicksal bestimmt: Soul Seeker 1 - Roman (German Edition)
näher heran, doch plötzlich taucht Marliz auf. Ihr Anblick veranlasst Cade, den Schläger beiseitezulegen und aufzustehen. Mit müder Miene und resigniertem Blick löst Marliz ihre Schürzenbänder, während der andere Mann den Stuhl vom Tisch wegzieht und »Mach die Tür zu« knurrt.
Ich wappne mich vor der Wucht der zuschlagenden Tür und sehe zu, wie Cade den Flur entlanggeht, wo er nur kurz innehält, um sich eine Zigarette anzuzünden, die er aber abgesehen vom ersten Zug gar nicht raucht. Er wedelt nur mit ihr herum, so dass ihre Glut Funken wirft und aufflammt und ein Ascheregen zu Boden geht. Unwissentlich führt er mich eine Reihe von Fluren entlang, die so labyrinthisch sind, dass ich mir alle möglichen Wegmarken einpräge, um auch als Mensch wieder herzufinden.
Auf dem Boden liegt ein Kaugummipapier, direkt vor der
Tür, an der ganz unten die Farbe in Form eines Herzens abgeblättert ist. Ein echtes Herz, eines mit Aorta, Ventrikeln und Arterien, keines von einer kitschigen Glückwunschkarte.
In der Ecke, wo die Wand aufgeworfen und wellig ist wie von einem Wasserschaden, liegt eine Zigarettenkippe.
Aber auch wenn ich gut angefangen habe, dauert es nicht lange, und schon sind es so viele Türen, so viele Flure und so viele kleine Abfallteilchen, die ich mir merken muss, dass ich nicht mehr nachkomme. Und so sage ich mir, dass es nicht mein Problem ist, was aus dieser Kakerlake wird, wenn ich mit ihr fertig bin. Wie es aussieht, habe ich ihr ohnehin schon einen Riesengefallen getan, indem ich sie in eine Gegend gelenkt habe, wo der Teppich mit einem großen Sortiment ihrer Lieblingsleckereien verkrustet ist. Haare, Hautschuppen und eine unbegrenzte Auswahl an unidentifizierbaren fettigen Teilchen, die allein schon bei der ersten Wahrnehmung ihre Instinkte zum Rotieren bringen, dass sie unbedingt umkehren möchte, um sich ein paar Bissen davon einzuverleiben. Ich habe meine liebe Mühe damit, sie zu überzeugen, daran vorbeizuziehen und sich wieder dem zuzuwenden, wozu ich sie brauche.
Ich beschleunige meine Schritte und komme Cades Hacken so gefährlich nahe, dass ich unsanft gegen seinen großen, braunen Stiefel stoße, als er auf einmal abrupt stehen bleibt.
Gerade will ich nach hinten davonkrabbeln, um eine sichere Distanz einzunehmen, als ich begreife, dass wir am Ziel sind.
Cade wedelt mit der glühenden Spitze seiner Zigarette vor etwas herum, was auf den ersten Blick eine kahle Wand zu sein scheint – doch das ist, bevor mir Palomas Mahnung wieder einfällt, dass ich mich auf das Unsichtbare, das Unbekannte
konzentrieren soll –, und schon hat sich die Ziegelmauer in etwas völlig anderes verwandelt.
Und während ich es mit großen Augen anstarre, geht mir schlagartig auf, dass Paloma Recht hatte.
Das Portal sieht völlig anders aus, als ich erwartet hatte.
Fünfunddreißig
C ade erstarrt. Drückt das Rückgrat durch und legt den Kopf schief, als würde er spüren, dass etwas nicht ganz stimmt – dass irgendetwas anders ist.
Könnte das an mir liegen?
Er dreht sich langsam im Kreis und sieht sich suchend um. Sowie er den Blick zu Boden senkt, ergreife ich meine Chance, breite die Flügel aus und flattere auf sein Hosenbein. Ich versichere mir selbst, dass ich mich im Notfall ohne Weiteres aus der Situation lösen kann – ich muss ja nur die Verbindung kappen, und schon bin ich wieder völlig unversehrt in der Toilettenkabine.
Obwohl ich nicht genau weiß, ob ich das glaube.
Ich stecke tief drinnen.
Vielleicht zu tief.
Es ist, als wären die Kakerlake und ich eins.
Ich klammere mich an den Saum von Cades Jeans und verhalte mich ganz ruhig, während er den Kopf schüttelt, etwas Unhörbares vor sich hin murmelt und weitergeht. Ich husche an der Hinterseite seines Beins nach oben, mache am Hosenbund Halt und verschanze mich in einer Gürtelschlaufe, in der Hoffnung auf sichereren Transport und einen besseren Überblick.
Ich sehe mich hektisch um und präge mir sämtliche Einzelheiten ein – ein hässlicher, grüngrauer Teppichboden, eklige, weiß getünchte Wände, vor denen so viel geraucht
wurde, dass sie mittlerweile schmutzig gelbe und braune Streifen haben. Verzweifelt suche ich nach etwas, das diesen Flur von all den anderen unterscheidet, doch ich finde nichts. Kein Wunder, dass die meisten Suchenden es nicht entdeckt haben – es ist etwas Außergewöhnliches, das gut innerhalb der Ödnis des quälend Gewöhnlichen verborgen ist.
Er steht vor der Wand – oder
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