Vom Schicksal bestimmt: Soul Seeker 1 - Roman (German Edition)
Wacholderbuschzweigen, der direkt davor steht und in dem sich ein breiter Grenzstreifen aus etwas Weißem, Körnigem abzeichnet – als hätte jemand mit dem Salzstreuer gewütet.
Eine Schicht Salz innerhalb eines Holzzauns innerhalb einer dicken Lehmmauer – war es das, was Paloma gemeint hatte, als sie behauptete, das Haus sei geschützt?
Ich schwinge ein Bein hinüber und zappele so lange, bis ich das andere Bein auch drüben habe und ganz hinausrutschen kann. Die Federn des Traumfängers kitzeln mich sachte am Kopf und dienen mir als weitere Erinnerung daran, warum ich fliehen muss – das hier ist das Haus, wo der Wahnsinn lebt. Wenn ich noch länger bleibe, kann ich nie in die Normalität zurückkehren.
Ich krieche zu meiner Tasche, greife nach dem Riemen und sause in Windeseile über den Hof. Der Kies knirscht so laut unter meinen Füßen, dass es in meinem Kopf widerhallt, und das Tor kreischt wie aus Protest und lässt mich leise fluchen, bis ich frei bin – frei von ihr. Ich renne die ungepflasterte
Straße entlang und folge dem Weg, auf dem ich gekommen bin. Meine Füße trommeln so hart gegen den Boden, dass hinter mir kleine Staubwolken aufsteigen.
Ich renne eine ganze Weile. Viel länger, als ich es gewohnt bin. Der Riemen meiner Tasche schneidet mir tief in die Schulter ein, meine Wangen werden heiß, meine Augen brennen, aber ich laufe weiter. Ich bleibe erst stehen, als der kleine Krampf in meiner Seite zu einem so glühend heißen, stechenden Schmerz explodiert, dass ich das Gleichgewicht verliere und zu einem schlaffen Haufen zusammensinke, die Reisetasche neben mir auf dem Boden. Ich schlinge mir die Arme fest um den Körper, klemme das Kinn auf die Brust und ringe darum, ruhig zu atmen. Ich beschwöre den Schmerz wegzugehen, überrede ihn zu verschwinden, damit ich meine Flucht fortsetzen kann.
Langsam humpele ich von der Straße und verkrieche mich in den engen, staubigen Kanal, der daneben verläuft. Vorsichtig setze ich meine Schritte, gehe langsamer, als mir lieb ist, während ich darauf achte, in Deckung zu bleiben, außer Sicht, in der Hoffnung, es Paloma dadurch schwerer zu machen, mich zu finden, falls sie sich auf die Suche machen sollte.
Eine kleine Armee vertrockneter Büsche, kurz davor, zu Steppenläufern zu werden, stechen in meine Jeans, während ich an einem anonymen Lehmziegelhaus nach dem anderen vorbeigehe. Jedes ist in ähnlichem Maße renovierungsbedürftig, mit baufälligen Kaminen und provisorisch geflickten Fenstern. Um die Häuser herum tummelt sich ein Sammelsurium von verrosteten Autos, freilaufenden Hühnern, grasenden Rindern und durchhängenden, überladenen Wäschespinnen, die als Landschaftsgestaltung herhalten müssen.
Dies ist wohl der Ort mit den unpassendsten Namen, den ich je gesehen habe. Nichts ist hier auch nur im Entferntesten »verzaubert«, wie es der Name Enchantment nahelegen würde. Es ist eine der schlimmsten Werbelügen aller Zeiten.
Ich bin viel herumgekommen und habe mich reichlich lange an öden Orten aufgehalten. Oder zumindest dachte ich das, bis ich hier gelandet bin.
Ich meine, wo kaufen die Leute denn ihr Essen und ihre Klamotten?
Wo treffen sich die Teenager – oder vielmehr die, die nicht gleich in den ersten Bus gesprungen sind, der aus diesem gottverlassenen Kaff fährt?
Und, weitaus wichtiger, wo finde ich diesen Bus – und wie schnell, ehe er abfährt?
Ich zücke mein Telefon und versuche es erneut bei Jennika, doch genau wie zuvor erreiche ich nur ihre Mailbox. Nachdem ich ihr eine weitere verdrossene Nachricht hinterlassen habe, gefolgt von einer noch giftigeren SMS, überlege ich, ob ich Harlan anrufen soll, verwerfe den Gedanken aber auf der Stelle wieder. Ich habe keine Ahnung, wie es zwischen ihm und Jennika steht, und weiß nicht einmal, ob er überhaupt schon aus Thailand zurück ist. Außerdem sagt mir ein Blick auf die Uhr, dass der Sonnenuntergang nicht mehr lange auf sich warten lassen wird und ich bis dahin dringend den Ortskern gefunden haben muss, denn sonst steht mir eine lange, gruselige Nacht bevor.
Ich folge dem Kanal bis zum Ende und stoße erneut auf eine Abfolge ungepflasterter Straßen. Eine endet, eine zweite beginnt, und nach einer Weile ist alles nur noch ein einziger unscharfer Fleck aus verlassenen, tristen Straßen, die nirgendwohin zu führen scheinen.
Gerade habe ich beschlossen, am nächsten Haus zu klingeln
und um Hilfe zu bitten, als ich um eine Ecke biege und auf etwas stoße,
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