Vom Schicksal bestimmt: Soul Seeker 1 - Roman (German Edition)
durch einen Berg Klamotten, bis ich meinen Pass gefunden habe und ihn ihm gebe. Ich blase die Wangen auf, während er ihn studiert und etwas weitgehend Unverständliches vor sich hin murmelt. Dann deutet er auf meine rechte Hand und drückt mir einen Stempel auf den Handrücken, ehe er mich mit ungeduldiger Miene ziehen lässt.
Mein Blick wandert über Sitzbänke aus rotem Vinyl, dunkle Holztische, Teppichboden von undefinierbarer Farbe und einen langen Mahagoni-Bartresen voller Gäste, von denen die meisten den müden, glasigen Blick von Leuten haben, die schon viel zu lange auf ihren Barhockern herumlungern.
Ich suche nach einem freien Platz, möglichst ungestört in einer dunklen Ecke, wo mich nur die Bedienung findet, und schon bald sehe ich ein älteres Paar genau die Art von Nische verlassen, die ich brauche, also setze ich mich sofort dorthin, noch ehe ihr schmutziges Geschirr abgeräumt wird.
Ich schnappe mir eine Speisekarte aus dem Ständer – wobei ich mich bemühe, die klebrigen Stellen nicht anzufassen – und studiere das Angebot an salzigen Snacks, die allesamt nur dazu dienen, einen durstig zu machen, damit man mehr trinkt.
»Irgendwas?«
Erschrocken blicke ich auf. Ich hatte sie nicht kommen hören.
»Möchtest. Du. Etwas. Bestellen?« Die Bedienung grinst spöttisch und betont jedes Wort überdeutlich. Dabei klopft sie sich auf eine Art mit ihrem Stift gegen die Hüfte, die mir sagt, dass sie derart daran gewöhnt ist, miese Trinkgelder zu
kriegen, dass sie keinen Sinn mehr darin sieht, sich auch nur die geringste Mühe zu geben.
»Ähm, ja«, antworte ich, da ich weiß, dass sie, wenn ich jetzt sage, dass ich noch ein bisschen mehr Zeit brauche, nie wieder vorbeikommen wird. »Ich glaube, ich nehme die Buffalo Wings – ach, und äh … ein Sprite. Danke«, füge ich hinzu und begehe die Kardinalsünde, die Speisekarte zu ihr hinzuschieben. Sie schnaubt und stopft sie kopfschüttelnd wieder in den Ständer.
»Noch was?«, fragt sie, und trotz ihres missmutigen Tonfalls und des harten Mundes schätze ich, dass sie nur fünf, sechs Jahre älter ist als ich.
Außerdem vermute ich, dass sie einmal die Schönheitskönigin der Stadt war. Es gibt Spuren davon in ihren langen künstlichen Nägeln, den gepflegten Haaren und dem Push-up-BH aus schwarzer Spitze, der ihre Brüste so hoch und rund formt, dass sie aus dem engen, weißen Tanktop herauszuquellen drohen. Das auf dem Stoff thronende Schildchen mit dem Namen Marliz schwankt hin und her wie eine Schaukel. Doch aus irgendeinem Grund habe ich sie noch immer nicht verjagen können.
»Ich muss mein Handy aufladen«, sage ich zu ihr. »Gibt es eine freie Steckdose, die ich benutzen kann?«
Sie zeigt mit dem Daumen nach hinten, wobei ihr kleiner Bizeps in einer Weise hüpft, dass ich praktisch gezwungen bin, das aufwändige Schlangentattoo zu registrieren, das sich von ihrem Handgelenk bis zur Schulter und weiter zu unsichtbaren Körperstellen windet. »Frag den Barmann«, bellt sie. Dann dreht sie sich um, tippt einem überarbeiteten Hilfskellner auf den Rücken und weist ihn an, meinen Tisch abzuräumen, ehe sie in der Küche verschwindet.
Ich gehe zur Bar, stets mit einem Auge auf meinen Sachen,
während ich den Barkeeper auf mich aufmerksam zu machen versuche, was leichter gesagt als getan ist. Doch noch ehe ich ihn ansprechen kann, glotzt er schon auf den Stempel auf meinem Handrücken und schickt mich zu meinem Platz zurück.
Er hat sich bereits abgewandt, als ich mein Glück dennoch versuche. »Hey! Entschuldigen Sie – ich will keinen Drink bestellen, sondern nur mein Handy aufladen. Können Sie mir da vielleicht weiterhelfen? Sie müssen doch irgendwo eine freie Steckdose haben.«
Er hält inne, blickt mit seinen unter schweren Lidern liegenden Augen den langen Bartresen entlang und fixiert mich derart, dass sämtliche Gäste die Gläser sinken lassen und mich ebenfalls mustern. Ich überlege, ob ich mir nicht einfach meine Tasche schnappen und mich verziehen soll. Zur Bushaltestelle gehen und riskieren, dass mich Paloma oder Chay oder wer auch sonst immer für sie arbeitet dort aufspürt.
Ich mag es nicht, wenn man mich anstarrt, schon gar nicht so. Es erinnert mich zu sehr daran, wie mich die Leuchtenden ansehen. Und die Krähen. Erinnert mich an diesen schrecklichen Abend in Marrakesch, als der Djemaa el Fna zu einem Meer aus dunkel blitzenden Augen und blutigen, aufgespießten Köpfen wurde.
Ich hole tief Luft und
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