Vom Schicksal bestimmt: Soul Seeker 1 - Roman (German Edition)
sich mit Lichtkreisen, während mich der plötzliche Zusammenstoß mit heißem Metall vom Boden hebt und mich mit schlackernden Gliedmaßen und weit ausgebreiteten Armen hoch in den Himmel fliegen lässt wie ein Rabe – bis die Schwerkraft einsetzt und der Asphalt aufheult und mich in einem Bett aus rasiermesserscharfen Steinen auffängt, die meine Kleider durchschneiden und sich in mein Fleisch bohren, während sich in meiner Nase der Gestank von verbranntem Gummi und aufgeschürfter Haut ausbreitet.
Ein Abbild des alten Fotos mit dem lächelnden Gesicht meines Vaters ist das Letzte, was ich sehe.
Seine dunklen Augen sind kritisch zusammengekniffen – enttäuscht von mir.
Ich habe nicht auf seine Warnung gehört.
Ich habe mich allzu sehr auf den grauenhaften Zustand seines Kopfs auf diesem Platz in Marokko konzentriert, um auf die Worte zu achten, die er mir nahebringen wollte.
Und jetzt, aufgrund meines Versagens, bin ich wie er.
Nur noch unfähiger.
Ich habe es nicht geschafft zu entkommen.
Es nicht geschafft, einen Ausweg zu finden.
Und deshalb werde ich jetzt in dieser Stadt sterben.
Der Weg des Geistes
Zwölf
P aloma beugt sich über das Grab, murmelt etwas in ihrer Muttersprache Spanisch und wischt den Staubfilm weg, ehe sie scheinbar achtlos die Blumen ablegt. Ein kleiner Strauß aus ihrem Garten – leuchtende violette und goldgelbe Blüten, die trotz Herbstanfang noch nicht welk sind.
Mit ernster Miene und zusammengepressten Lippen kniet sie auf dem vertrockneten Gras. Als ich sie anspreche, wendet sie sich zu mir um. »Und hier liegt er also?«, frage ich und bereue auf der Stelle, dass ich viel lauter gesprochen habe als beabsichtigt.
Sie schüttelt den Kopf, fixiert mich mit ihrem Blick und überrascht mich mit ihrer Antwort. »Nein.«
Ich beäuge erneut den Grabstein und vergewissere mich, dass ich mich nicht geirrt habe.
»Hier wurde er zur letzten Ruhe gebettet. Hier wurde sein Körper begraben. Aber täusch dich nicht, Daire, er befindet sich nicht mehr hier.«
Ich bemühe mich nach Kräften, nicht zu perplex dreinzublicken, tue es aber vermutlich trotzdem. Man sollte ja meinen, dass ich mittlerweile an Palomas ungeschminkte Ausdrucksweise gewöhnt wäre, aber es ist einfach seltsam, eine Mutter so offen und klinisch über den Leichnam ihres Sohnes sprechen zu hören.
»Mach bloß nicht den Fehler, diesen Ort mit deinem Vater zu identifizieren. Er ist nicht hier. Wenn du ihn besuchen
willst, wenn du dir einen Ort wünschst, um mit ihm zu sprechen – wenn du das Gefühl hast, das hilft dir, dann steht es dir natürlich frei. Es ist absolut nachvollziehbar, und ich würde nie versuchen, dich daran zu hindern. Aber vergiss nie, dass dein Vater überall ist. Seine Seele ist befreit worden, losgelöst von dieser Erde, um eins mit dem Wind zu werden, der durch dein Haar weht, und dem Staub, der unter deinen Füßen liegt. Er ist der Regen in der Gewitterwolke über den Bergen dort drüben.« Sie streckt einen schlanken Arm aus und zeigt zum Sangre de Cristo – eine majestätische Gebirgskette in Blau und Grau, schneebedeckt. »Er ist die Blüte in jeder Blume. Er ist überall, wo du hinsiehst. Was bedeutet, dass du genauso hier mit ihm sprechen kannst wie überall sonst. Und wenn du ganz still bist und aufmerksam lauschst, hörst du vielleicht sogar seine Antwort.«
Ich schlucke schwer und denke über ihre Worte nach. Sie erinnern mich an den Traum, den ich in der ersten Nacht nach meiner Ankunft hatte. Den Traum, in dem ich begriff, dass ich ein untrennbarer Bestandteil von allem bin – und kurz darauf war meine wahre Liebe tot.
Ich stütze mich auf meine Krücken und lasse den Blick über den Friedhof schweifen, nach wie vor nicht an die stille Demut der Anlage gewöhnt. In Los Angeles sind die Friedhöfe akkurat geplant, halten sich an gesetzlich streng vorgeschriebene Aufteilungen und bestehen aus weiten, flachen Hügeln mit gepflegten Grasflächen, nur gelegentlich durchbrochen von einem Teich, an dem man innehalten und seinen Gedanken nachsinnen kann. Sie tragen schillernde Namen wie Forest Lawn Memorial Park und nähren damit die Illusion, dass die teuren Toten gar nicht wirklich gestorben sind, sondern vielmehr zu einem elitären Golfturnier im Jenseits abberufen wurden.
Doch der Friedhof hier ist ganz anders – er ist naturbelassen und schlicht und hat weder einen hochtrabenden Namen noch Grabmäler aus poliertem Marmor. Er gibt nicht vor, etwas anderes zu sein
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