Vom Schicksal bestimmt: Soul Seeker 1 - Roman (German Edition)
hinüber zum Rand des Grundstücks und setze mich neben die Buchten, wo man den Reifendruck prüfen und Kühlwasser nachfüllen kann. Dabei habe ich mit einem richtig schlechten Empfang zu kämpfen, der Jennikas Worte abwürgt und sie klingen lässt, als riefe sie von irgendwo tief unter der Erde an.
Doch es ist nicht besonders schwer, die Lücken zu füllen. Es handelt sich mehr oder weniger um eine Wiederholung des gleichen Gesprächs, das wir seit Wochen führen. Seit dem Tag, als sie ein paar wütende Nachrichten von mir vorgefunden hat, woraufhin sie Paloma angerufen und erfahren hat, dass ich von einem Auto angefahren worden bin. Ihre Fragen kommen so schnell, dass es wie ein Überfall ist. Eine verschmilzt mit der anderen, bis es völlig ausgeschlossen ist, dass ich sie alle beantworten kann.
»Mir geht’s gut, ehrlich. Du brauchst nicht herzukommen«, sage ich, was meine Standardantwort geworden ist, wann immer sie davon spricht, das Engagement in Chile sausen zu lassen, damit sie mich abholen kann.
Aber es funktioniert nicht. Es funktioniert nie. Sie redet einfach weiter. »Daire, du kannst es mir sagen – hat Paloma irgendetwas Sonderbares gemacht?«
Ich verdrehe die Augen. Aus Jennikas Perspektive ist alles, was Paloma macht, sonderbar, aber ich sehe es inzwischen nicht mehr so. Paloma mag seltsam sein, definitiv anders als der Durchschnitt, doch ihre Heilkräfte stehen außer Zweifel – ebenso wie außer Zweifel steht, dass sie die Einzige ist, die wirklich versteht, was mit mir los ist.
»Was verstehst du unter sonderbar? «, erwidere ich. Das sage ich immer.
»Daire …« Sie dehnt meinen Namen in die Länge und gibt mir so zu verstehen, dass diese Art von Antwort nicht mehr zieht. »Beantworte meine Frage. Du weißt genau , was ich meine.«
»Paloma geht’s gut. Mir geht’s gut. Chay geht’s gut. Enchantment ist … in Ordnung.« Meine Finger krallen sich um das Telefon, während ich hoffe, nicht an der Lüge zu ersticken. »Ich hab’s dir doch schon gesagt, ich bin nur am ersten Tag ausgeflippt. Weiter nichts. Und glaub mir, du würdest staunen, was Paloma alles kann. Meine Verletzungen sind verheilt, und ich habe keine einzige Narbe – und das gilt auch für die Schnitte an den Armen, die ich mir in Marokko geholt habe. Ach, und der Gehgips kommt bald ab – vielleicht schon morgen.«
»Ich brauche Bilder! Ich brauche Beweise! Du musst mir massenhaft Bilder schicken. Nur dann kann ich dir glauben, dass alles in Ordnung ist. Nur so kann ich …«
Seufzend nehme ich das Telefon vom Ohr und lege es neben mir aufs Pflaster. Jennika kreischt hysterisch weiter – droht – fleht – ein Lied, das sie schon zu oft gesungen hat. Und so vergrabe ich das Gesicht in den Knien und warte, bis der Refrain zu Ende ist.
Ich blicke gerade rechtzeitig auf, um zu sehen, wie mir Chay auf dem Rückweg zum Pick-up zuwinkt, und so versuche ich Jennika abzuwimmeln. »Jennika, ich muss Schluss machen«, sage ich. »Ehrlich, du brauchst nicht herzukommen, es gibt keinen Grund zur Sorge. Mir geht es bestens. Ich schicke dir ein Foto – einen ganzen Haufen Fotos. Ich schicke dir so viele Fotos, dass du meinen Anblick bald satthaben wirst, okay? Aber bis dahin beruhige dich ein bisschen. Versuch einfach zu glauben, was ich dir sage.«
Ich erhebe mich, klopfe meine Jeans hinten ab und humpele über den Parkplatz. Dabei muss ich um einen alten Ford Mustang herumgehen, der nur den grauen Grundanstrich trägt und vor der Zapfsäule steht. Ein Junge mit langen, dunklen Haaren steigt auf der Fahrerseite aus, während eine ältere, mit exquisitem Türkisschmuck ausstaffierte Frau die Beifahrertür öffnet.
»Oh – entschuldige bitte!«, sagt sie, als die Tür mich fast erwischt. Wir wechseln einen zugegebenermaßen kurzen Blick, der aber ausreicht, um mich in einen Kokon von allumfassender Freundlichkeit zu hüllen. Er hält nur einen Moment lang an, dann macht er einer so tiefen, so unendlichen Traurigkeit Platz, dass ich wie angewurzelt stehen bleibe, obwohl sie schon weitergegangen ist.
Paloma hat mir davon erzählt. Hat mir erklärt, dass mit solchen Erlebnissen – solchen Eindrücken – zu rechnen ist. Sie behauptet, das sei eine Gabe, die mir in der Zukunft noch gute Dienste leisten wird, und dass ich jede Gelegenheit ergreifen
soll, sie zu pflegen. Jedes Mal, wenn ich jemand Neuem begegne, soll ich mich weniger darauf verlassen, was ich sehe oder höre, sondern mehr auf das, was ich tief in
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