Vom Schicksal bestimmt: Soul Seeker 1 - Roman (German Edition)
sie mir gefaltet aufs Bett gelegt hat, und werfe meine schmutzigen Sachen in den Wäschekorb. Mit finsterer Miene mustere ich
die Naht, die wir von unten bis zum Knie auftrennen mussten, damit der Gips darunter passt. Obwohl Paloma versprochen hat, mir neue Jeans zu kaufen, sobald mein Bein wieder heil ist, hege ich schwere Zweifel daran, dass ich etwas Vergleichbares finden werde. Die hier ist meine Lieblingsjeans, dunkel und eng — ich wohne praktisch in ihr. Außerdem habe ich sie in Paris gekauft – einer Stadt, in die ich so schnell nicht zurückkehren werde. Nach allem, was ich von Enchantment gesehen habe, gibt es hier keinen einzigen anständigen Laden. Mann, es gibt nicht mal Target oder Walmart.
Doch Paloma sieht Kleidung nicht auf dieselbe Weise wie ich. Für sie sind Kleider weniger ein Ausdruck der Individualität, sondern vielmehr eine sinnvolle Art, den Körper zu bedecken. Obwohl ihre Sachen sauber und gebügelt sind, liegt auf der Hand, dass Mode für sie erst an zweiter Stelle kommt, falls sie überhaupt darüber nachdenkt. Soweit ich gesehen habe, besteht ihre Garderobe aus einer Reihe leichter, baumwollener Hängekleider, die sie zuhause trägt – wo sie immer barfuß geht –, und denselben Kleidern, gepaart mit einer abgenutzten himmelblauen Strickjacke und dunkelblauen Espadrilles, wenn sie ausgeht. Seltsamerweise finde ich das aber irgendwie erfrischend.
Palomas Desinteresse an Mode ist eine willkommene Abwechslung gegenüber den Dramen, die ich von den Filmsets her kenne. Wo Krisensitzungen einberufen wurden, um das Für und Wider der Rocklänge irgendeines Starlets zu debattieren, als hinge nicht nur das Schicksal des Films, sondern das Schicksal der ganzen Welt davon ab. Ganz zu schweigen von Jennikas Hang, meine magere Garderobe als Ergänzung ihrer eigenen zu betrachten.
Man könnte sagen, Jennika hat eine Überdosis vom Girly-Gen abgekriegt, ich einen Hauch und Paloma gar nichts.
Zumindest denke ich das, während ich mir die Haare zu einem Pferdeschwanz binde und ans Fenster trete, um den Vorhang zuzuziehen. Das Tor ist noch offen, Chays Wagen steht direkt daneben, und Paloma beugt sich hinein und umarmt ihn.
Ich beobachte die beiden – ich kann es nicht lassen, es kommt einfach so überraschend für mich. Erstaunt beobachte ich, dass es sich weniger um die kurze, schulterklopfende Umarmung zwischen Freunden handelt, sondern vielmehr um die langsame, genussvolle Liebkosung zwischen zwei Menschen, die tiefe Gefühle füreinander hegen.
Ich wusste, dass sie befreundet sind, hatte aber immer gedacht, es sei platonisch. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass ihre Beziehung weiter reichen könnte. Als sie sich tatsächlich küssen, ziehe ich schnell den Vorhang zu und eile in die Küche, setze mich an den Tisch und warte darauf, dass mein erster Ausbildungstag beginnt.
Mein Vater ist nie so weit gekommen. Er hat sich geweigert mitzumachen, und ich kann ihm das nicht übel nehmen. Doch um nicht das gleiche grässliche Schicksal zu erleiden, habe ich mir geschworen, es wenigstens mal zu probieren und zu sehen, wohin es führt. Wenn es mir nicht gefällt, werde ich alle Hebel in Bewegung setzen, um einen Ausweg zu finden. Aber ich werde nichts überstürzen. Und ich werde nicht sterben. Im Gegensatz zu Django werde ich meinen Abgang klug planen.
Paloma kommt herein und zieht die Tür hinter sich zu. Sie fummelt an den Knöpfen ihrer Strickjacke herum, reibt die Hände gegeneinander und geht zum Kamin. Mit einem langen, eisernen Schürhaken stochert sie darin herum, bis sie damit zufrieden ist, wie er knistert und Funken sprüht. »Chay hat eine Schwäche für Süßigkeiten«, sagt sie unvermittelt.
Ich starre sie an. Ihre Worte sind so sonderbar, dass mir keine brauchbare Antwort einfällt.
»Er ist ein guter Mensch, aber ein schlechter Einfluss.« Sie lacht, setzt sich auf den Stuhl mir gegenüber und verschränkt die Arme auf dem Tisch. »Deine Ausbildung erfordert etliche Veränderungen in deinem Lebensstil. Die erste betrifft die Ernährung. Heute hast du deine letzte Limo zusammen mit Chay getrunken, also hoffe ich, du hast sie genossen.« Sie streckt den Arm aus und legt ihre Hand auf meine. Ihre sieht so winzig und dunkel aus, dass meine dagegen wie ein großer, blasser Klumpen wirkt. »Von jetzt an isst und trinkst du nur noch das, was die Natur bereithält, und zwar in seiner reinstmöglichen Form. Das heißt, keine zugesetzten Zuckerstoffe, keine industriell
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