Vom Schicksal bestimmt: Soul Seeker 1 - Roman (German Edition)
das Gewirr aus Musik und Menschen eintauche. »Letztes Mal hast du aber einen etwas verstörten Eindruck gemacht und hattest es ziemlich eilig«, sagt er und sieht betrübt drein, als ich ihm die Antwort schuldig bleibe. »Also erinnerst du dich wahrscheinlich nicht daran.«
»Doch.« Ich nicke. Eigentlich will ich sagen: Ich erinnere mich an alles – und zwar haargenau. Die Frage ist eher: Erinnerst
du dich? Doch stattdessen starre ich auf meine Füße und grinse blöd. Alles, was ich in seiner Gegenwart tue, ist blöd. Eine tolle Suchende bin ich geworden. Ich versuche, mich zu retten, indem ich irgendetwas Normales sage und nicht verrate, dass ich – dank dem Raben, der es mir ermöglicht hat, ihn auszuspionieren – längst weiß, dass er hier arbeitet. »Dann bist du wohl öfter hier?«, frage ich.
Er fährt sich durch die Haare, während er mich mit seinen blauen Augen von oben bis unten mustert. Ich spüre seinen Blick wie eine Berührung. Es ist, als würde ich unter einem Strahl aus warmem, flüssigem Honig stehen, der mich von der Stirn bis zu den Füßen überströmt. »Das kann man wohl sagen«, antwortet er mit leiser, tiefer Stimme. »Jedenfalls öfter als die meisten.« Er schwenkt ein feuchtes Geschirrtuch und zieht an den Bändern seiner Schürze. Ich laufe rot an. Der Anblick erinnert mich daran, was ich in der Gasse hinter dem Lokal gesehen habe – wie ich ihn mit einem so verträumten Gesicht an der Wand lehnen sah, dass ich ihn am liebsten berührt – und geküsst – hätte wie in meinem Traum.
Ich mustere ihn genau, suche nach Spuren des Erkennens, der Erinnerung – irgendeinem kleinen Beweisfetzen dafür, dass der Kuss in der Höhle so real war, wie er mir vorkam. Doch es kommt nichts.
»Und, wie lange arbeitest du schon hier?«, frage ich und kehre zum aktuellen Gesprächsthema zurück. Ich studiere sein schwarzes T-Shirt und die geschwungene Linie seines Körpers und sage mir, dass das alles Teil meiner Erkundung ist, meines Bedürfnisses, so viele Informationen wie möglich über ihn und seine Familie zu sammeln. Doch im Grunde weiß ich, dass das nicht stimmt. In Wahrheit genieße ich es, ihn anzusehen, und bin gern in seiner Nähe.
»Man könnte sagen, irgendwas zwischen zu lange und
noch nicht lange genug – je nach dem Zustand meines Geldbeutels.« Sein Lachen klingt gutmütig und locker. Es ist ein Lachen, das im Bauch beginnt und sich dann nach oben vorarbeitet. »Es ist so ziemlich der einzige brauchbare Laden hier in der Stadt.« Er zuckt die Achseln. »So oder so, letztlich arbeitet man immer für die Richters, und glaub mir, das hier ist einer der besseren Jobs.«
Ich muss daran denken, was Cade gesagt hat, als ich mit dem Raben hier war. Dass er ihm einen anderen Nachnamen zugeschrieben hatte. »Du bist kein Richter?«, frage ich und halte den Atem an. Trotz allem, was mir Paloma erzählt hat, muss ich es von ihm selbst hören, mir bestätigen lassen, dass er sich nicht mit diesem Clan identifiziert.
»Ich heiße Whitefeather«, sagt er mit ernster, gelassener Miene. »Ich wurde von meiner Mom allein aufgezogen und kannte die Richters nicht einmal, als ich noch klein war.«
Obwohl das genau die Antwort ist, die ich haben wollte, runzele ich die Stirn. Wenn er ein Richter gewesen wäre, wäre das ein guter Grund gewesen, um ihm aus dem Weg zu gehen – aber ohne das fehlt mir ein Vorwand.
»Ist das in Ordnung?« Er neigt seinen Kopf zu meinem, während es in seinem Mundwinkel zuckt. »Die Neuigkeit scheint dich ein bisschen zu bestürzen.«
Ich schüttele den Kopf und reiße mich zusammen. »Nein, nein, überhaupt nicht. Glaub mir, es ist eher eine Erleichterung.« Ich fange seinen Blick auf und registriere, wie seine Augen sich fragend zusammenziehen. »Ich bin nur kein großer Fan deines Bruders«, füge ich hinzu, woraufhin er lachend den Kopf in den Nacken wirft. Der Anblick seines Halses zwingt mich wegzusehen – es ist einfach zu viel.
»Wenn es dich beruhigt, kann ich dir verraten, dass ich da meistens mit dir einer Meinung bin.« Er wendet sich mir erneut
zu, wobei die Wärme seines Blicks eine Welle des Wohlbehagens durch mich strömen lässt.
Das Gefühl hält allerdings nur kurz an, denn auf einmal wirkt er vorsichtig, auf der Hut, und konzentriert sich auf einen Punkt in der Ferne. »Apropos …«, sagt er und sieht mit gerunzelter Stirn an mir vorbei. »Ich muss mich wieder an die Arbeit machen. Sehen wir uns nachher noch?«
Und schon
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