Vom Schlafen und Verschwinden
antwortete sie rasch, leichthin und ein wenig wegwerfend, musste meist ganz schnell weg, eine Sache besorgen, hatte etwas auf dem Herd, erwartete Besuch, schwang sich auf das Fahrrad und fuhr, unbedingt auszurichtende Grüße in Auftrag gebend, davon.
Wenn sie sich unbeobachtet fühlte, war sie anders, in sich gekehrt und abgeschottet. Sie war eine Frau mit Geheimnis. Ich glaube nicht, dass Joachim dieses Geheimnis kannte, ich glaube nicht einmal, dass sie es selbst kannte. Vielleicht hat sie es mir einmal verraten, ohne dass sie oder ich es gemerkt hätten.
Als ich mit zwanzig schwanger wurde, wollte sie mir zwar helfen, aber nichts wissen. Sie versicherte mir, dass wir das mit dem Kindlein schon schaffen würden. Lutz war abgehauen, und Andreas sprach nicht mehr mit mir. Ich war verzweifelt, aber sie wollte nichts hören.
– Du hast Liebeskummer, nicht?
– Ja, Mama. Ich glaube ––
– Nein, du musst mir das nicht erzählen, ich bin deine Mutter und nicht deine beste Freundin.
– Aber ich ––
– Wirklich, ich finde es immer so albern, wenn mir die anderen Mütter sagen, »und dann haben wir uns hingesetzt und Tee getrunken, und meine Tochter hat mir alles haarklein erzählt. Sie erzählt mir sowieso immer alles«. Ich kann dir nicht sagen, wie leid mir diese Töchter tun!
– Ich wollte nur sagen ––
– Aber ich verstehe vollkommen! An deiner Stelle würde ich es übrigens genauso tun. Ich habe mit deinem Vater geredet, er hat mir versprochen, dich nicht mit Fragen zu bedrängen.
Ich nickte schwach. Ich wollte doch darüber reden, aber ich wollte es auch überhaupt nicht, und vielleicht ging es am wenigsten mit Heidrun.
Sie schaute mich bekümmert an. Ich weiß noch, sie hatte ein wenig Mehl unter der Nase. Es sah aus wie ein lustiger Schnurrbart und brachte mich irgendwie aus der Fassung. Sie roch nach Hefeteig. Ich wusste, mein Kummer brach ihr das Herz, also durfte ich erst recht nichts sagen. Sie runzelte kurz die Stirn, holte tief Luft, und ich merkte, sie strengte sich sehr an, um mich zu trösten. Fast hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich sah, wie viel Kraft es sie kostete. Was es auch sein mochte, ich würde mich sofort damit trösten lassen, das schwor ich mir.
– Ich kannte mal einen Lautenspieler, ich war schon mit deinem Vater verlobt. Er kam aus Kanada und hatte sehr dunkles Haar und sehr helle Haut. Er war wohl ganz nett. Einmal schrieb ich ihm, aber er hat nicht geantwortet.
Sie runzelte die Stirn. Nach einer Pause fügte sie hinzu:
– Ich bin sehr glücklich mit deinem Vater.
Sie runzelte noch einmal die Stirn und presste die Lippen aufeinander, der Mehlbart hing in einem bizarren Winkel nach unten.
– Und so ––
Ich winkte hastig ab, unsicher, ob ich weinen oder lachen sollte.
– Schon gut, Mama, wirklich. Ich bin froh, dass du nicht bist wie diese Mütter, die einen immer ausquetschen. Danke, dass ihr mich so in Ruhe lasst.
Sie nickte erleichtert, drückte mich kurz an sich und ging in die Küche, um ihren Zopf zu Ende zu backen.
In meiner Erinnerung hat sie ständig gebacken. Bleche über Bleche von Streuselkuchen mit perfekt gerundeten Streuseln verschiedenen Umfangs wie Lungen-Alveolen unter dem Mikroskop. Johannisbeerkuchen mit einer Schicht aus Baiser, der beim Abkühlen bräunliche Siruptröpfchen ausschwitzte. Frankfurter Kranz, dessen Butter einen halben Tag neben dem Kühlschrank stand, gleich neben einer Metallschale Vanillepudding, damit sich beide auf Körpertemperatur bringen konnten. Dass die karamellisierten Mandeln aus der Pfanne mussten, konnte man nicht an der Uhr ablesen, sondern nur am Geruch erkennen, den die Mandeln beim Erhitzen absonderten. Hefeteig konnte sie im Schlaf. Doch er trat, wenn man ihn erst am nächsten Tag verarbeiten wollte, über Nacht seinen Deckel weg. Seltener dagegen backte sie Schichttorte, bei der vier Springformböden gleichzeitig in Bewegung waren, mit Teig bestrichen in den Ofen geworfen wurden, wieder rausgeholt, abgekratzt, mit Gelee bestrichen, mit Teig bestrichen, Ofen auf, Boden rein, anderer Boden raus, abgekratzt, nächster Boden raus, anderer Boden rein, schnell abkratzen, sonst bröckelig, Gelee, nächster Boden rein, raus, neu bestreichen, falscher Boden, war noch heiß, kaltes Wasser über fette Brandblase, schnell Ofen auf, raus, schon fast zu braun, den nächsten auch gleich mit raus, oje, beide schnell abkratzen, der braune bröckelt, Mülleimer, egal, war eh zu braun, der andere schnell,
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