Vom Schlafen und Verschwinden
behalten, ich weiß es, und er war erschreckt, ja abgestoßen von meinem Abbruch, den ich in Deutschland vornehmen ließ. Ich wusste nicht genau, warum ich es keinesfalls behalten wollte. Ich wusste nur, dass es nicht ging. Ich wollte nicht noch einmal schwanger sein. Alles konnte einem plötzlich abhandenkommen, wenn man schwanger wurde, alles. So etwas passierte, ich wusste es. Ich fürchtete, beim nächsten Mal würde ich selbst verschwinden. Aber jetzt durfte ich nicht mehr, wegen Orla.
Ich fürchtete mich auch vor jener Unterwasserwelt, in die man während der Schwangerschaft versinkt und aus der man dann jahrelang nicht mehr auftaucht. Alles ist gedämpft, Töne, Farben, Gerüche, alle Bewegungen werdendurch den Wasserwiderstand gebremst. Als würde man selbst mit seinem Kind in einer gigantischen Fruchtblase leben. Das Auftauchen ist schmerzhaft, fast explodiert einem die Lunge, die Sonne blendet, die Laute zerreißen einem das Trommelfell, und man wird von Schwindel ergriffen. Ich konnte nicht mehr dorthin zurück. Ich musste unbedingt oben bleiben, wach bleiben. Wachsam sein und aufpassen, dass niemand verloren ging, kein Mensch.
Am Ende verschwand ich doch, zumindest aus Declans Leben. Ich ging zurück nach Grund, wo das Verschwinden seinen Anfang genommen hatte. Doch ich war nicht allein, Orla und ich gingen zusammen fort.
Für den Abbruch ging ich in das Hamburger Familienplanungszentrum. Da gerade eine Stelle am Universitätskrankenhaus an mich herangetragen worden war, die ich zwar nicht annehmen, mir aber ansehen wollte, lag Hamburg nahe. Dass ich am Ende wirklich hier landen würde, hätte ich damals nicht gedacht.
Ich fürchtete mich, mir war schlecht, sicher auch von den Hormonen, ein Zeichen, dass der Fötus bleiben wollte. Die Frauen dort waren so freundlich, dass ich die ganze Zeit heulen musste. Nach dem Beratungsgespräch flog ich zurück nach Dublin.
Declan war betrunken, als ich ankam. Er trank inzwischen mit stiller Entschlossenheit. Es war meine Schuld. Er hatte immer schon viel getrunken, schließlich war er Musiker und dazu Ire, aber jetzt trank er sich jede Nacht in eine Ohnmacht. Er schlief oder verlor das Bewusstsein mit angewinkelten Beinen und in Seitenlage auf dem viel zu kurzen Sofa im Gästezimmer, das wie die meisten Gästezimmer das zweite Kinderzimmer war. Ich war schlecht für ihn. Ich tötete ihn zusammen mit seinem Kind. Es war Zeit, fortzugehen.
Nach Ablauf der Bedenkzeit flog ich wieder nach Hamburg. Ich bekam eine flache weiße Tablette. Sie sagten mir, ich könne sie entweder schlucken oder einführen. Also schloss ich mich auf dem Klo ein, lehnte den Kopf gegen die Tür und schob sie mir tief in die Vagina, dann wartete ich im Ruheraum auf das Blut. Die Frauen, die dort lagen, waren jung und alt, Studentinnen, Hausfrauen, berufstätige Frauen, junge Mädchen. Es gab Frauen, denen ich ansehen konnte, dass sie auf der Straße lebten oder in Villen, manche waren in Begleitung von Männern, Müttern, Freundinnen, die sie abholten, die meisten aber machten es mit sich allein aus.
Herbstsonne schien durch das Fenster, mild. Die Stimmung im Ruheraum war wie dieses Licht. Eine weiße Porzellanschale mit großen braunen Birnen stand auf einem Tisch. Ich nahm mir eine Birne, ihre Haut war rau, aber makellos. Ich fragte mich, ob sie Birnen hingestellt hatten, weil sie von ihrer Form her an Frauen erinnerten.
Das Blut kam schließlich, es kam und kam. Es blutete tagelang, Wochen, es blutete und blutete und hörte nicht mehr auf. Nach drei Monaten hatte ich mich fast daran gewöhnt, dass sich meine Tat für immer als ein dünner hellroter Faden durch mein wirres Leben ziehen würde. Wer sich mit den Göttern maß, wurde in eine Spinne verwandelt.
Nach fünf Monaten riss der Faden ab.
Eine Spinne, die einer schlafenden Frau in den Mund kriecht, ruft Unterleibsleiden hervor. Wenn ich mir weiter vorstelle, wie eine Spinne in meinen Mund kriecht, werde ich niemals einschlafen.
Als ich ungefähr in dem Alter war, da sich Dornröschen mit der Spindel in den Finger stach, war ich mit meinen Eltern für ein Wochenende in Paris. Joachim war auf einer Anglisten-Tagung, Heidrun und ich begleiteten ihn. Im Louvre bekam ich plötzlich Nasenbluten, eine Ader schien geplatzt zu sein. Über mein T-Shirt, meine Hose, Heidruns Blazer ergoss sich ein Schwall von Blut. Ich versuchte, das Blut hinunterzuschlucken, aber es war zu viel, mein Mundraum füllte sich. Ich schluckte und schluckte,
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