Vom Umtausch ausgeschlossen
mich Hunderte von Kilometern durchs Land fährt, hin zu einem Ort, an dem ich noch nie gewesen bin - und zu einer Schwester, die mich nicht ausstehen kann?
17
Oh mein Gott. Ich bin da.
Fünf Stunden sind vergangen und jetzt bin ich wirklich da, in Cumbria, in Jess´ Heimatstädtchen. Ich bin in Nordengland!
Ich laufe die Hauptstraße in Scully entlang - und stelle fest, wie pittoresk das hier ist! Genau, wie Gary es beschrieben hat, mit Trockenmauern und allem. Rechts und links von mir stehen alte Steinhäuser mit Schieferdächern. Hinter den Häusern befinden sich steile, kantige Hügel, auf denen Schafe auf verstreuten Grasflecken grasen. Über diese Hügel erhebt sich ein weiterer, noch höherer Hügel, der wohl als Berg durchgehen kann.
Als ich an einem kleinen Steincottage vorbeikomme, bemerke ich, wie ein Vorhang zur Seite gezogen wird und jemand mich beobachtet. Na ja, ich schätze, ich falle ein klein wenig auf mit meinem knallroten und dem limonengrünen Koffer. Die Rollen rumpeln geräuschvoll über die Straße, und meine Hutschachtel hüpft bei jedem Schritt, den ich mache, auf und ab. Als ich an einer Bank vorbeikomme, auf der zwei alte Damen in gemusterten Kleidern und Strickjacken sitzen, beäugen diese mich misstrauisch - die eine zeigt sogar auf meine rosa Wildlederschuhe. Ich lächele die Damen freundlich an und will schon gerade »Die habe ich von Barneys!« sagen, als sie aufstehen und sich verkrümeln, wobei sie mir aber immer noch Blicke zuwerfen. Ich marschiere noch ein Stückchen weiter die Straße entlang, dann bleibe ich keuchend stehen.
Ganz schön hügelig hier, was? Ich meine, nicht, dass ich etwas gegen Hügel hätte. Ich habe überhaupt kein Problem damit.
Aber ich glaube, ich werde jetzt trotzdem mal eben ein bisschen die Landschaft bewundern und eine kleine Pause einlegen. Der Taxifahrer hatte mir angeboten, mich bis vor Jess´ Haustür zu fahren, aber ich habe ihm gesagt, ich wollte das letzte Stückchen lieber laufen, um mich zu sammeln. Und um unbeobachtet ein Schlückchen aus der Miniwodkaflasche zu trinken, die ich mir im Zug gekauft habe. Ich werde schon wieder ganz kribbelig, wenn ich an Jess denke, obwohl das doch absolut lächerlich ist, schließlich hatte ich im Zug stundenlang Zeit, mich darauf vorzubereiten!
Und noch dazu haben mich da richtige Experten beraten! Ich war nämlich ins Bordrestaurant gegangen und hatte mir dort an der Bar eine Bloody Mary bestellt, um mir ein klein wenig Mut anzutrinken - und dann saß da eine ganze Truppe von Shakespeare-Schauspielern, die Wein tranken und rauchten und erzählten, dass sie auf Heinrich-V-Tournee sind. Wir kamen ins Gespräch, und ich erzählte ihnen die ganze Geschichte und dass ich jetzt auf dem Weg zu Jess sei, um mich mit ihr zu versöhnen. Da sind die alle total durchgedreht! Meinten, das sei original das Gleiche wie in König Lear, bestellten sich alle Bloody Marys und bestanden darauf, mit mir an meiner Rede zu teilen.
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich wirklich alles tun und sagen möchte, was sie mir vorgeschlagen haben. Ich glaube, Haare raufen und mich mit einem falschen Dolch durchbohren muss nicht unbedingt sein. Aber ganz viele von ihren Tipps waren wirklich gut! Wie zum Beispiel der, dass man seine Schauspielerkollegen niemals dazu zu bringen darf, dem Publikum den Rücken zuzukehren. Da waren sie sich alle einig - das wäre das Schlimmste, was ich meiner Schwester antun könnte, und wenn ich sie in diese Verlegenheit bringen würde, dann könnte ich mir das mit der Verwöhnung komplett abschminken, und da würden sie dann offen gestanden voll auf Jess‘ Seite stehen. Ich wies sie darauf hin, dass es gar kein Publikum geben würde, aber dazu sagten sie bloß, das sei Quatsch, selbstverständlich würde sich eine Menschenmenge ansammeln.
Der Wind zerzaust mein Haar auf das Hoffnungsloseste, und außerdem werden meine Lippen von dem starken Wind hier im Norden ganz rau. Ich hole mein Lippenbalsam heraus und trage es auf. Dann hole ich nervös mein Handy hervor, um zum tausendsten Mal nachzusehen, ob Luke vielleicht versucht hat, mich anzurufen. Hätte ja sein können, dass ich es nicht gehört habe... Aber hier ist überhaupt kein Empfang. Wir müssen meilenweit von jeglichen Sendemasten entfernt sein. Ich glotze eine Weile auf das leere Display und nähre eine törichte Hoffnung... Wenn hier kein Empfang ist - dann könnte es doch sein, dass er versucht hat anzurufen! Vielleicht versucht er es
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