Vom Umtausch ausgeschlossen
gerade jetzt, in diesem Moment, schon wieder, und kommt nicht durch...
Aber tief in mir drin weiß ich, dass ich mir etwas vormache. Wenn er hätte anrufen wollen, hätte er es schon längst getan.
Ich fühle mich so leer, und dann stürzt alles wieder über mich herein. Lukes scharfer Ton. Wie er mich angesehen hat, kurz bevor er ging - so enttäuscht und irgendwie müde. Was er gesagt hat. Unser hässlicher Streit klang mir den ganzen Tag lang in den Ohren, bis ich richtige Kopfschmerzen bekam.
Zu meinem Entsetzen steigen mir jetzt Tränen in die Augen. Wütend blinzele ich sie weg und schniefe. Ich werde nicht weinen. Es wird alles gut werden. Ich werde mich ändern, ich werde ein neuer Mensch werden, und Luke wird mich nicht wiedererkennen.
Entschlossen setze ich meinen Marsch den Hügel hinauf fort, bis ich Hill Rise erreiche. Ich bleibe stehen und betrachte die lange Reihe grauer Steincottages. Ich bin da. Das hier ist die Straße, in der Jess wohnt. Jess wohnt in einem dieser Häuser!
Ich fasse in die Jackentasche, um den Zettel mit der Hausnummer herauszuholen - im gleichen Moment bemerke ich jedoch, dass sich bei einem der Häuser an einem Fenster im ersten Stock etwas bewegt. Ich sehe genauer hin. Es ist Jess! Sie steht am Fenster und starrt mich vollkommen entgeistert an.
Trotz allem, was zwischen uns passiert ist, löst ihr Anblick eine Welle von Gefühlen in mir aus. Sie ist und bleibt eben doch meine Schwester. Ich renne mit schlenkernden Koffern und hüpfender Hutschachtel die Straße entlang. Atemlos erreiche ich die Haustür, und gerade, als ich anklopfen will, geht sie auf. Jess steht in blassbrauner Cordhose und einem Sweatshirt vor mir und sieht mich fassungslos an.
»Becky... was zum Teufel machst du denn hier?«
»Ich möchte von dir lernen, Jess«, erkläre ich mit wackliger Stimme und hebe flehentlich die Hand, wie es mir die Shakespeare-Truppe empfohlen hat. »Lass mich dein Lehrling sein.«
»Was?« Jess macht entsetzt ein paar Schritte zurück. »Sag mal, Becky, hast du etwa getrunken? «
»Nein! Ich meine, ja. Ein paar Bloody Marys vielleicht... Aber ich bin nicht betrunken, ehrlich! Jess, ich möchte ein guter Mensch sein!« Die Worte rauschen nur so aus mir heraus. »Ich möchte von dir lernen. Und dich kennen lernen. Ich weiß, dass ich in meinem Leben Fehler gemacht habe... Aber aus diesen Fehlern möchte ich lernen. Ich möchte wie du sein, Jess!«
Was folgt, ist ein seltsames Schweigen. Jess sieht mich mit festem Blick an.
»Du möchtest wie ich sein?«, fragt sie. »Ich dachte, ich wäre eine Spaßbremse, ein erbärmlicher Geizkragen und eine langweilige Kuh, Becky?«
Mist. Ich hatte gehofft, dass sie das inzwischen vergessen hätte.
»Äh... es tut mir Leid, dass ich das gesagt habe«, murmele ich beschämt. »Ich hab‘s nicht so gemeint.«
Jess sieht nicht gerade überzeugt aus. Ich rekapituliere blitzschnell einige der Ratschläge aus dem Zug. »Die Zeit hat die Wunden zwischen uns geheilt...«, hebe ich an und will ihre Hand nehmen.
»Nein, hat sie nicht!« Jess entzieht mir ihre Hand. »Und ‚ ich muss sagen, du hast echt Nerven, hier einfach so aufzukreuzen!«
»Aber ich bitte dich als meine Schwester um Hilfe!«, erkläre ich verzweifelt. »Ich möchte von dir lernen! Du bist Yoda, und ich bin -«
»Yoda?« Jess reißt ungläubig die Augen auf.
»Nicht, dass du aussehen würdest wie der alte, weise Yoda«, füge ich hastig hinzu. »Überhaupt nicht! Ich meinte doch bloß -«
»Wie auch immer, Becky, es interessiert mich nicht«, unterbricht Jess mich. »Weder du noch deine bescheuerten Ideen interessieren mich. Verschwinde.«
Sie schlägt die Tür zu, die ich daraufhin fassungslos anstarre. Jess hat mir die Tür vor der Nase zugeknallt? Mir, ihrer Schwester?
Aber ich bin extra aus London hierher gekommen!», rufe ich ihr durch die geschlossene Tür zu.
Keine Antwort.
Ich kann nicht aufgeben. Nicht einfach so.
»Jess!« Ich trommele gegen die Tür. »Du musst mich reinlassen! Bitte! Ich weiß, dass wir ein paar Meinungsverschiedenheiten hatten -«
»Lass mich in Ruhe!« Die Tür wird aufgerissen, und Jess steht wieder vor mir. Aber jetzt sieht sie nicht einfach nur feindselig aus. Sie wirkt fuchsteufelswild. »Becky, wir haben nicht einfach nur Meinungsverschiedenheiten gehabt! Wir sind grundverschieden! Ich habe keine Zeit für dich. Offen gestanden wünschte ich, ich wäre dir nie begegnet. Und ich habe nicht die blasseste Ahnung, was du hier
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