Vom Umtausch ausgeschlossen
bloß meine Haarteile mit hätte«, sage ich und betrachte kritisch Kellys Gesicht. »Dann könnte ich dir einen genialen Pferdeschwanz machen.«
»Mann, sehe ich toll aus!« Kelly fallen vor dem Spiegel fast die Augen aus dem Kopf.
»Du hast wunderschöne Wangenknochen«, erkläre ich ihr und verteile auch schon Glanzpuder auf beiden Seiten.
»Mann, macht das Spaß!« Kelly sieht mich mit glänzenden Augen an. »Ach, wäre das schön, wenn Sie hier wohnen würden, Becky! Dann könnten wir das jeden Tag machen!«
Sie sieht so aufgeregt aus, das ist richtig rührend.
»Na ja... wer weiß«, sage ich. »Vielleicht komme ich ja mal wieder. Wenn ich das mit Jess wieder geradebiegen kann.«
Doch allein beim Gedanken an Jess zieht sich mir der Magen zusammen. Je mehr Zeit vergeht, desto nervöser werde ich angesichts eines Wiedersehens.
»So eine Schminkorgie wie diese hier wollte ich auch mit Jess machen«, erzähle ich Kelly etwas wehmütig. »Aber sie hatte keine Lust dazu.«
»Dann ist sie ganz schön blöd«, sagt Kelly.
»Nein, ist sie nicht. Sie ist nur... Sie mag eben andere Sachen.«
»Jess ist ein etwas kratzbürstiger Mensch«, merkt Jim an, als er mit ein paar Flaschen Kirsch-Limo vorbeikommt. »Kaum zu glauben, dass sie Ihre Schwester sein soll.« Er stellt die Flaschen ab und wischt sich über die Augenbrauen. »Muss an der Erziehung liegen. Jess hatte es bestimmt nicht leicht.«
»Kennen Sie denn ihre Familie?«, frage ich interessiert nach.
»Hmhm.« Er nickt. »Nicht besonders gut, aber ich kenne sie. Ich habe früher mal mit Jess‘ Vater Geschäfte gemacht. Er ist der Chef von Bertram Foods. Lebt drüben in Nailbury. Acht Kilometer von hier.«
Jetzt entbrennt die pure Neugier in mir. Jess hat mir noch kein Wort von ihrer Familie erzählt. Und Mum und Dad wussten anscheinend auch nicht viel.
»Und... wie sind sie?«, frage ich so unbeteiligt wie möglich. »Jess´ Familie, meine ich?«
»Wie ich schon sagte, sie hatte es nicht leicht. Ihre Mutter ist gestorben, als Jess fünfzehn war. Ein ziemlich schwieriges Alter für ein Mädchen.«
»Davon wusste ich ja gar nichts!« Kelly reißt die Augen auf.
»Und ihr Vater...« Jim lehnt sich nachdenklich auf den Verkaufstresen. »Er ist ein guter Mann. Gerecht. Sehr erfolgreich. Er hat geschuftet wie sonst was und Bertram Foods aus dem Nichts aufgebaut. Aber er ist nicht gerade ... warmherzig. Er hat Jess immer mit der gleichen Härte behandelt wie ihre Brüder. Hat von allen erwartet, dass sie für sich selbst sorgen. Ich weiß noch, wie Jess aufs Gymnasium in Carlisle kam. Die Schule hat einen exzellenten, fast schon akademischen Ruf.«
»Ich wollte da auch hin«, erzählt Kelly und verzieht das Gesicht. »Aber die haben mich nicht genommen.«
»Jess ist ein sehr cleveres Mädchen.« Jim schüttelt anerkennend den Kopf. »Aber um zu der Schule in Carlisle zu kommen, musste sie jeden Morgen mit drei Bussen fahren. Ich bin oft mit dem Auto an ihr vorbeigekommen - den Anblick werde ich nie vergessen, wie sie mutterseelenallein mit der großen Schultasche im Frühnebel an der Bushaltestelle steht. Damals war sie nicht so groß und stark wie jetzt. Damals war sie ein mageres kleines Ding.«
Jim hält inne, doch ich weiß nicht recht, was ich sagen soll. Ich muss daran denken, wie Mum und Dad mich damals jeden Morgen mit dem Auto zur Schule gefahren haben, obwohl die gar nicht so weit weg war.
»Aber die sind doch bestimmt reich«, mutmaßt Kelly, während sie in meinem Schminktäschchen herumwühlt. »Wenn denen Bertram Foods gehört. Da kaufen wir alle unsere Tiefkühlpasteten«, erklärt sie mir. »Und Eis. Die haben einen Riesenkatalog.«
»Ja, es geht ihnen nicht schlecht«, sagt Jim. »Aber freizügig sind sie nie mit ihrem Geld umgegangen.« Er reißt einen Karton Fertigsuppen auf und sortiert sie in ein Regal. »Bill Bertram hat immer damit angegeben, dass alle seine Kinder sich ihr Taschengeld selbst verdienten.« Jim hält mit einer Tüte Hühnchen-Pilz-Suppe in der Hand inne. »Und wenn sie sich irgendeine Klassenfahrt oder so nicht leisten konnten, dann fuhren sie eben nicht mit. So einfach war das.«
»Wenn sie sich eine Klassenfahrt nicht leisten konnten?« Entsetzt sehe ich Jim an. »Aber für Klassenfahrten kommen doch immer die Eltern auf!«
»Die Bertrams nicht. Er wollte seinen Kindern ein gesundes Verhältnis zum Geld beibringen. Einmal machte eine Geschichte die Runde, dass einer der Bertram-Jungs als einziges Kind der
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