Vom Umtausch ausgeschlossen
Laden.
Als sie mich ansieht, zieht sich mir wieder der Magen zusammen. Sie sieht so kalt und feindselig aus, überhaupt nicht wie eine magere Zehnjährige. Schweigend sehen wir uns an. Jess lässt abschätzig den Blick über die Zeitschriften, mein Schminktäschchen und die über den Tresen verteilten Schminksachen wandern. Dann wendet sie sich wortlos ab und durchwühlt einen Korb mit heruntergesetzten Konservendosen.
Das rege Treiben ist zum Stillstand gekommen. Ich habe das Gefühl, dass jeder hier im Laden weiß, was zwischen uns passiert ist. Ich muss etwas sagen. Auch wenn mein Herz vor Angst fast zerspringt.
Ich sehe zu Jim, der mir aufmunternd zunickt.
»Ahm... Jess«, wage ich mich vor. »Ich war heute Morgen bei dir. Ich wollte dir erklären -«
»Es gibt nichts zu erklären.« Sie wühlt immer heftiger in den Dosen und würdigt mich keines Blickes. »Ich weiß nicht, was du überhaupt noch hier willst.«
»Sie hat mich geschminkt«, schaltet Kelly sich zu meiner Verteidigung ein. »Stimmt‘s, Becky?«
Ich lächele ihr dankbar zu. Aber ansonsten konzentriere ich mich immer noch voll auf Jess.
»Ich bin noch hier, weil ich mit dir reden möchte. Um mich bei dir zu entschuldigen. Ich würde dich heute Abend gern zum Essen einladen, was hältst du davon?«
»Ich glaube kaum, dass ich gut genug angezogen bin, um mit dir essen zu gehen, Becky«, gibt Jess tonlos zurück. Sie verzieht keine Miene - und dennoch sehe ich ihr an, dass sie verletzt ist.
»Jess -«
»Abgesehen davon, habe ich heute keine Zeit.« Jess knallt drei zerbeulte Dosen auf den Tresen sowie eine weitere, die keine Papierbanderole mehr trägt, und mit »10 p« ausgezeichnet ist. »Weißt du, was das ist, Jim?«
»Fruchtcocktail, glaube ich.« Er runzelt die Stirn. »Könnten aber auch Möhren sein...«
»Okay. Ich nehme sie.« Sie knallt ein paar Münzen auf den Tresen und fischt eine zerknitterte Plastiktüte aus der Tasche. »Ich brauche keine Tüte. Danke.«
»Dann vielleicht morgen Abend!?«, schlage ich verzweifelt vor. »Oder morgen Mittag?«
»Becky, lass mich in Ruhe.«
Sie marschiert aus dem Laden, und ich bleibe zurück. Mein Gesicht brennt, als hätte mir gerade jemand eine gescheuert. Die Leute im Laden fangen zunächst ganz sachte an zu flüstern, und im Nu sind wieder ganz normale Gespräche in vollstem Gange. Ich bemerke zwar am Rande, dass diejenigen, die an die Kasse kommen und bezahlen, mich neugierig ansehen, aber richtig wahrnehmen tue ich sie nicht.
»Geht‘s dir gut, Becky?« Kelly legt mir vorsichtig die Hand auf den Arm.
»Ich hab‘s vergeigt.« Resigniert hebe ich die Arme. »Du hast es ja gesehen.«
»Jess war schon immer ein kleiner Sturkopf.« Jim schüttelt den Kopf. »Schon als Kind. Sie ist sich selbst der schlimmste Feind. Sie ist hart gegen sich selbst und hart gegen andere. « Er hält inne und säubert sein Stanley-Messer. »Sie könnte eine Schwester wie Sie gebrauchen, Becky.«
»Tja, Pech gehabt!», schaltet Kelly sich ein. »Denn du brauchst sie nicht, Becky! Vergiss doch einfach, dass sie deine Schwester ist! Tu, als gäbe es sie gar nicht!
»Leichter gesagt als getan, oder?« Jim verzieht das Gesicht. »Schließlich geht es um ein Familienmitglied. Und ohne Familie kommt man nicht so gut aus.«
»Ich weiß nicht.« Ich zucke entmutigt mit den Schultern. »Wir vielleicht schon. Ich meine, schließlich sind wir siebenundzwanzig Jahre ohne einander ausgekommen...«
»Und jetzt wollen Sie noch mal siebenundzwanzig dranhängen?« Jim sieht mich auf einmal sehr ernst an. »Also wirklich. Zwei junge Frauen. Keine von euch beiden hat eine Schwester. Ihr könntet doch so gute Freundinnen sein!«
»Aber es ist doch nicht meine Schuld...«, fange ich an, mich zu verteidigen, doch dann fällt mir meine kleine Rede vom Vorabend ein. »Also, jedenfalls ist es nicht nur meine Schuld...«
»Das habe ich auch nicht gesagt.« Jim bedient noch zwei Kunden, dann wendet er sich wieder an mich. »Ich habe eine Idee. Ich weiß, was Jess heute Abend vorhat. Ich gehe da nämlich auch hin.«
»Echt?«
»Jep. Treffen der örtlichen Umweltschutz-Protestgruppe. Da kommt ganz Scully.« Er zwinkert mir zu. »Komm doch mit!«
FAXNACHRICHT
AN: LUKE BRANDON
APHRODITE TEMPLE HOTEL
ZYPERN
VON: SUSAN CLEATH-STUART
06. JUNI 2004
WICHTIG - DRINGEND!
Luke!
Becky ist nicht in eurer Wohnung. Keiner hat sie gesehen. Ich kann sie immer noch nicht auf ihrem Handy erreichen.
Ich mache mir wirklich
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