Vom Umtausch ausgeschlossen
Regen ins Gesicht. Ich zucke zusammen. Hier kann ich nicht stehen bleiben. Ich muss mich irgendwo unterstellen.
Ungefähr zwei Meter über mir ragt ein Felsvorsprung hervor, auf dem mehrere Felsen liegen. Der eine ist so geformt, dass ich mich vielleicht an seinem Fuß einigermaßen geschützt hinkauern kann. Der Boden ist natürlich klitschnass und rutschig, aber ich bohre meine Absätze in die Erde, kralle mich an allem fest, was mir in den Weg kommt, und schaffe es auf die Art und Weise, auf den Vorsprung zu kraxeln. Mein rechtes Knie reiße ich mir bei der Gelegenheit auch noch auf.
Huch, ist das hoch hier. Schluck. Na ja. Wird schon gehen. Ich darf nur nicht runtergucken. Ich halte mich gut am Felsen fest und will mich gerade in seinen Schutz kauern... als ich aus den Augenwinkeln etwas Gelbes sehe.
Etwas Grellgelbes.
Menschliche-Regenklamotten-Gelb.
Oh mein Gott. Es ist doch noch jemand außer mir auf dem Berg! Es ist noch jemand hier! Ich bin gerettet!
»Hallo!«, schreie ich. »Haaaaalloooo! Hier drüben!« Doch meine Stimme wird von Wind und Regen in die entgegengesetzte Richtung getragen.
Ich kann nicht erkennen, wer es ist, weil wieder mal ein Felsen im Weg ist. Ich arbeite mich sehr langsam und vorsichtig auf dem Felsvorsprung nach vorne, um besser sehen zu können.
Und mir bleibt fast das Herz stehen.
Es ist Jess.
Sie steht in einer gelben Windjacke und mit ihrem Rucksack auf dem Abhang unter mir. Sie hat sich mit einem Seil oder so am Berg festgebunden und kratzt vorsichtig mit einem Messer an einem Stein herum.
»Jess!«, rufe ich, doch meine Stimme wird vom Wind übertönt. »Jess! JESS!«
Endlich wendet sie den Kopf- und sofort verzieht sie entsetzt das Gesicht.
»Du liebe Güte! Becky! Was zum Teufel machst du denn hier?»
»Ich wollte dir erzählen., dass wir Schwestern sind!«, rufe ich zurück, aber ich glaube nicht, dass sie mich durch den strömenden Regen hören kann. »Schwestern!«, rufe ich noch einmal. Ich trete einen Schritt nach vorn und lege die Hände um den Mund: »Wir sind SCHWESTERN!«
»Stopp!«, schreit Jess entsetzt. »Der Felsvorsprung ist gefährlich!«
»Mir geht‘s gut!«
»Geh zurück!«
»Mir geht‘s gut, wirklich!«, rufe ich. Aber Jess macht ein so alarmiertes Gesicht, dass ich mich gehorsam einen Schritt zurückbegebe, von der Kante weg.
Und bei diesem einen Schritt rutsche ich endlich aus.
Ich verliere das Gleichgewicht.
Panisch versuche ich, mich an den Felsen festzuhalten, oder an sonst irgendetwas, nur um mich zu retten. Aber alles ist so glitschig. Ich schaffe es halbwegs, nach einer Wurzel zu greifen, aber auch die ist nass und schlüpfrig. Ich bekomme sie nicht richtig zu fassen.
»Becky!«, höre ich Jess kreischen, als mir die Wurzel entgleitet. »BECKY!«
Alles, was ich wahrnehme, als ich falle, sind panische Angst, verzweifeltes Schreien, der Himmel und dann ein heftiger Schlag auf den Kopf.
Dann wird es schwarz um mich.
Maida Vale Chronicle
Samstag, 7. Juni 2004
JUNGE FRAU VERMISST
Sorge um 27-jährige Bewohnerin von Maida Vale wachst.
Rebecca Brandon (geb. Bloomwood) verschwand am vergangenen Donnerstag spurlos aus der Luxuswohnung, die sie zusammen mit ihrem Mann Luke Brandon bewohnt. Seitdem wurde sie nicht mehr gesehen. Alarm geschlagen hatte Susan Cleath-Stuart, die ihrer Freundin Mrs. Brandon einen Überraschungsbesuch abstatten wollte.
Letzter Einkauf
Wie die Aufnahmen einer Überwachungskamera zeigen, war Mrs. Brandon kurz vor ihrem Verschwinden bei »Anna‘s Delicatessen«, wo sie einen aufgewühlten Eindruck machte. »Sie hat ihre Waren einfach stehen gelassen und ist rausgegangen«, berichtet die Verkäuferin Marie Füller. »Sie hat nichts gekauft.«
Laut Ms. Cleath-Stuart ist dies kein gutes Zeichen: »Das ist der Beweis dafür, dass etwas nicht stimmt! Bex würde niemals einen Laden verlassen, ohne dort etwas gekauft zu haben. Nie!«
Chaos
An Bord des Geist-Körper-Seele-Kreuzfahrtschiffs, das derzeit im Mittelmeer unterwegs ist, herrschten zwischenzeitlich chaotische Zustände, weil Mrs. Brandons Eltern, Graham und Jane Bloomwood, darauf bestanden, dass das Schiff umkehrte. »Sie können sich ihre Scheißruhe sonst wohin schieben!«‚, soll die hysterische Mrs. Bloomwood gerufen haben. »Meine Tochter wird vermisst!«
Unwetter
Mrs. Brandons Mann Luke befindet sich derzeit aus beruflichen Gründen auf Zypern und kann wegen der schlechten Wetterlage die Insel nicht verlassen. Mr. Brandon soll »zutiefst
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