Vom Vergnugen eine altere Frau zu sein
absolviert, und wollte alles anders machen. Sissi wusste selbst, dass das Hotel nicht mehr auf dem neuesten Stand war. Die Ausstattung, das ganze Angebot musste aufgefrischt werden. Sie lieà sich also auf die Vorschläge des Geschäftsführers ein. Der aber wollte mit den Neuerungen auch seine Macht ausbauen. Offenbar passte es ihm nicht, dass Sissi bei der Belegschaft und bei den vielen Stammgästen eine gewisse Autorität genoss. Es ging so weit, dass sie fürchten musste, gefeuert zu werden. Er hätte sie sicher liebend gern durch ein junges, frisches Ding von der Hotelfachschule ersetzt. Doch er zögerte, denn er war nicht dumm. Er wusste, wie teuer es werden könnte, wenn sie die Betreiber verklagen würde (»Natürlich würde ich das tun!«, hatte Sissi mir im Stillen versichert), und ihm entging nicht, wie sehr die Gäste sie schätzten. Also riss er alles an sich, reduzierte Schritt für Schritt ihren Wirkungsbereich und untergrub ihre Autorität, wo immer er konnte. »Inzwischen«, klagte sie, »stehe ich einfach nur noch hinter dem Schalter, ich werde herumkommandiert und bin ersetzbar geworden. Muss ich mich damit abfinden? Muss ich das noch siebzehn Jahre hinnehmen, bis ich endlich in Rente gehen kann? Ich hatte so viel Spaà bei der Arbeit. Doch wenn ich jetzt hingehe, ist mir immer schon ganz mulmig. Ich kann es nicht ertragen, diesen Typen zu sehen. Es macht mich richtig krank, es verdirbt mir das ganze Leben. Er will mich bestimmt hinausekeln.«
»Kannst du nicht in einem anderen Hotel anfangen?«, fragte ich. »Du hast doch inzwischen eine Menge Erfahrung in diesem Bereich.«
»Klar, aber ich bin fünfzig. Wer nimmt mich jetzt? Ich bin zu alt und zu teuer. Sie können für viel weniger Geld ein junges Ding anstellen, das frisch aus der Hotelfachschule kommt ⦠Wenn ich ehrlich bin, träume ich davon, mich selbstständig zu machen. Nicht mit einem Hotel. Das Geld bekäme ich wohl nicht zusammen.«
»Und ein Restaurant?«, hakte ich nach.
»Sehr kompliziert, sehr riskant. Aber ein Café, vielleicht eine Weinbar, das wär etwas. Ich mag die Menschen, und die Menschen mögen mich, das ist doch eine gute Ausgangslage.«
»Fantastisch!«, rief ich. »Was für eine tolle Idee, Sissi! Das musst du unbedingt machen. Wir brauchen wirklich ein hübsches Café in dieser Gegend, wo man in Ruhe sitzen und sich unterhalten kann, ohne von irgendeiner Teenager-Musik vollgedröhnt zu werden. Und ich habe in meinem Leben genug schlechten Kaffee unter verstaubten Zimmerpalmen getrunken.«
»Warte mal«, sagte Sissi. »Ich habe gesagt, dass es ein Traum ist. Ich bin jetzt fünfzig. Es wäre verrückt, eine gut bezahlte Stelle aufzugeben und diese Art von Risiko einzugehen. Was wird aus meiner Rente? Was ist, wenn es böse endet? Als Traum, als Fantasie ist es wirklich schön, aber allein der Gedanke, so ins Unbekannte zu stürzen, bereitet mir Albträume. Ich war immer irgendwie abgesichert, das bin ich gewöhnt.«
»Wenn es nicht klappt, hast du immer noch Dirk«, sagte ich.
»Da bin ich mir nicht so sicher«, antwortete sie nachdenklich. »Gar nicht sicher. Ich will das jetzt nicht vertiefen, aber es läuft nicht gut.«
Ich hätte gern nachgehakt, doch ich lieà es bleiben.
»Also gut«, sagte ich nach einer Weile, »wenn ich es recht überblicke, hast du zwei Möglichkeiten. Du kannst weiter im Hotel arbeiten und dir von diesem fiesen Typen das Leben schwer machen lassen, bis er dich irgendwann so weit hat, dass du gehst. Oder du wagst den Schritt und machst etwas Neues, etwas, das zu dir und deinen Fähigkeiten passt, das dich befriedigt und herausfordert. Du hast eine Menge Erfahrung. Und du bist noch jung und steckst voller Energie. Du hast genug Zeit, etwas Neues aufzubauen. Ein Risiko steckt immer darin, das ist klar, aber so ist das nun mal im Leben. Natürlich musst du es dir gut überlegen, aber du bist ja ohnehin ein vernunftgesteuerter Mensch.«
»Also, wenn du es so darstellst, habe ich eigentlich überhaupt keine andere Wahl«, sagte Sissi und lachte. »Trotzdem, so ein Sprung ins Ungewisse, diese Vorstellung macht mir ganz schön Angst.«
4
»WER IST FÃR MICH,
WENN ICH NICHT FÃR MICH BIN?« **
Gerade für Frauen mag es sehr verlockend klingen, ein neues Leben in einem fremden Land zu beginnen. Für
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