Vom Vergnugen eine altere Frau zu sein
auf mich warten würde, war von vornherein klar.
Doch die Versuchung war riesig, der Ort hatte etwas ganz Besonderes. Ich überlegte, und während ich überlegte, wurde das Angebot immer unattraktiver. Zufällig erfuhr ich, dass meine potentiellen Nachbarn, ein älteres und, so hieà es, ruhiges Ehepaar sich mit jedem anlegte, mit dem sie zu tun hatten, dass sie auch den Gang zum Gericht nicht scheuten. Auch den Eigentümer, mit dem ich verhandelte, hatten sie vor Kurzem noch wegen einer Lappalie verklagt. Da nun die beiden Gebäudeteile miteinander verzahnt waren wie ein groÃes Puzzle und ihre Fenster zudem noch auf meinen Garten hinausgingen, gab es eine Menge Anlass zu Streitereien. Und so sagte ich zu dem Eigentümer: Nein danke.
Ich rief den Architekten an, den mir der Mann bei meinen Besichtigungen vorgestellt hatte, und erklärte ihm die Situation. Ich bat ihn, mich zu informieren, falls in der Nähe etwas angeboten würde, denn der Ort gefiel mir auÃerordentlich gut. Er versprach es. Und meine Ãberraschung war groÃ, als er bereits am nächsten Tag anrief und aufgeregt fragte, wann ich kommen könne! »Ein interessantes Angebot«, meinte er, »das sollten Sie sich unbedingt anschauen.« Ich hatte noch nicht aufgelegt, da suchte ich schon nach dem Autoschlüssel.
Er zeigte mir ein langgestrecktes, ländlich wirkendes Gebäude am Rand der Altstadt, eine ehemalige Ãlmühle. Sie gehörte einem italienisch-australischen Ehepaar, das eine Weile in verschiedenen Ländern gewohnt und nun beschlossen hatte, dass ihre Kinder im »echten« Italien aufwachsen und normale italienische Schulen besuchen sollten. Sie hatten die Ãlmühle renoviert, doch bald schon erkannt, dass sie die beinahe neunhundert Quadratmeter selbst mit ihrer vierköpfigen Familie kaum mit Leben füllen konnten. Also beschlossen sie, eine Hälfte davon zu verkaufen. Die Australierin wurde mir vorgestellt, sie war mir gleich sympathisch. Ich verliebte mich in das Haus, und es dauerte kaum eine Stunde, bis ich mich entschieden hatte. Das sollte es werden.
Um die Haushälfte in ein eigenständiges Heim zu verwandeln, gab es noch einiges zu tun. Doch nach ein paar Monaten konnte ich endlich einziehen. Erst später verstand ich, wie viel Glück ich gehabt hatte. Ich hätte ein Haus mit Grundbuchproblemen erwischen können, oder eine Wohnung im Ortskern, wo man im Sommer nicht einschlafen kann, weil hinter den weit geöffneten Fenstern die Fernseher plärren. Ich kannte niemanden in der Gegend, wie leicht hätte ich mich isolieren können! Doch meine australische Nachbarin lieà es sich nicht nehmen, mich gleich all ihren Freunden vorzustellen, den italienischen und den anderen, und es dauerte nicht lange, bis ich mir einen Kreis italienischer und ausländischer Bekannter in der Umgebung aufgebaut hatte.
Umbrien ist sehr, sehr schön. Anders schön als die Toskana. Und, was mir am wichtigsten ist: In Umbrien ist die italienische Gesellschaft noch weitgehend intakt. Die Menschen sind freundlich, hilfsbereit und direkt. Von der päpstliche Knute ist nicht mehr übrig geblieben als eine robuste Abneigung gegen klerikale Strukturen und kirchliche Autorität. Sie waren verwundert, dass jemand wie ich von weither kam, um in ihrem, aus ihrer Sicht unbemerkenswerten Ort zu leben. Bald stellte ich fest, dass eine ganze Reihe von Ausländern hier lebte, doch anders als in der Toskana oder der Provence fallen sie kaum auf. Sie passen sich an, weitgehend ohne die Gesellschaft zu verändern. Nur die Immobilienpreise steigen allmählich, und die alten, gemauerten Bauernhäuser sind schon fast vom Markt verschwunden. Es fällt auf, dass weder die Zugezogenen noch die Einheimischen besonderes Interesse am Vorleben der Neubewohner zeigen. Sie mögen dich â oder sie mögen dich nicht â so wie sie dich kennenlernen. Es ist eine erfrischende Einstellung. Einige amerikanische Schauspieler, die in ihrer Heimat allzu leicht erkannt werden, wissen dies besonders zu schätzen. Hier bleiben sie weitgehend anonym.
Ich hatte also ein Dach über dem Kopf, ein uraltes Ziegeldach. Doch damit hatte ich erst einen einzigen Schritt getan. Was noch vor mir lag, war, da ich mich um niemanden zu kümmern hatte als um mich selbst, eine sinnvolle Beschäftigung zu finden. Es genügt nicht, stellte ich fest, jeden Morgen aufzustehen und die
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