Vom Vergnugen eine altere Frau zu sein
habe sie gefragt, ob sie keine Angst vor den tropischen Krankheiten hat, mit denen in Afrika zu rechnen ist. Ob sie sich keine Sorgen wegen der medizinischen Versorgung macht.
»Wenn ich wirklich einmal krank werde, und wenn man das mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit schnell, oder relativ schnell, in Deutschland behandeln kann, dann komme ich hierher. Aber wenn es unheilbar oder sehr langwierig sein sollte, dann ziehe ich es vor, schnell in Mali zu sterben. Es ist angenehmer. Schon die Vorstellung, dass ich zwischen Krankenhaus und Altersheim hin- und hergeschoben werde oder in einem Krankenhaus in der persönlichen Kälte, die man den Menschen dort entgegenbringt, leben muss, dann ziehe ich es vor, in meiner gewohnten Umgebung zu sein, mit den Maliern. Deswegen habe ich gesagt, wenn es so weit ist, möchte ich hier in Sévaré auf dem Friedhof begraben werden.« David, der das Restaurant leitet, hat Anweisungen für das Begräbnis, er wird sich um alles kümmern.
So endete mein Gespräch mit Jutta. Doch kurz vor der Veröffentlichung dieses Buches nahm ihr Leben eine dramatische Wendung. Eine Rebellion der Separatisten im Norden von Mali, ein Staatsstreich in der Hauptstadt Bamako, ein wirtschaftliches Embargo, parteiinterne Kämpfe zwischen den Rebellen und eine ernstzunehmende Nahrungskrise haben das von ihr so sehr geliebte Land erschüttert. Leute aus dem Westen wurden entführt und enorme Lösegeldzahlungen für sie verlangt. Jutta reiste erst nach Bamako, dann nach Deutschland, dann wieder zurück nach Bamako, um abzuwarten, wie sich die Situation weiter entwickeln würde. Das Hotel blieb geöffnet, auch wenn sie in dieser Zeit nur wenige Gäste hatte. »Ich habe eine Supermannschaft dort. Ich will die Jungs nicht auf die StraÃe setzen« schrieb sie mir im Mai 2012. Sie brachte ihre Antiquitätensammlung nach Bamako. Doch die Nachrichten wurden immer alarmierender. »Viele der Menschen, mit denen ich bisher zusammengearbeitet habe, sind durch die politischen Ereignisse und den Einbruch im Tourismus aufgrund des Terrorismus in groÃe wirtschaftliche Not geraten«, schrieb sie mir in einer E-Mail aus Bamako im darauffolgenden August. »Trotz ihres geringen Einkommens haben viele Familien Flüchtlinge aus dem Norden aufgenommen. AuÃer den Schwierigkeiten bei der Nahrungsbeschaffung ist in einigen Fällen auch medizinische Behandlung notwendig. Früher habe ich mich meistens darum gekümmert, aber jetzt und in dieser Menge übersteigt es meine finanziellen Möglichkeiten. In anderen Fällen ist dem Ernährer einer ganzen Familie die Arbeitsgrundlage entzogen worden ⦠Mittlerweile gibt es praktisch keinen Tourismus mehr â Arbeitslosigkeit mit allen Folgen für die betroffenen Familien ist nun die traurige Wahrheit.« Sie entschied sich, eine humanitäre Hilfsaktion zu starten, und bat Bekannte, Verwandte und Freunde ihr Spendengelder zu schicken, die sie auf einen Bereich, den sie selbst überblicken und kontrollieren kann, verteilt.
Sissi hatte begonnen, ihr Versprechen einzulösen und ihr eigenes Leben unter die Lupe zu nehmen. Schnell wurde ihr klar: Ihre Ehe hatte den ersten Reiz längst verloren. Vor allem aber bei der Arbeit gab es Schwierigkeiten. Vor nunmehr zwanzig Jahren hatte sie eher zufällig im Hotel angefangen, als der Besitzer, ein Cousin ihrer Mutter, sie bat, für eine plötzlich erkrankte Empfangsdame einzuspringen. Eigentlich war sie ausgebildete Buchhalterin. Sie wollte nach Hamburg ziehen und sich dort eine Stelle suchen. Doch dann lernte sie Dirk kennen und beschloss, noch eine Weile in Berlin zu bleiben. Die kranke Empfangsdame kehrte nicht mehr zurück, und Sissi hatte Spaà an dem Job, weil sie, anders als bei der Buchhaltung, mit vielen Menschen zu tun hatte. Da Sissi eine sehr offene Art hat, attraktiv ist und gut mit Menschen umgehen kann, fühlte sich jeder Gast, der in die Lobby trat, direkt willkommen. Der Hotelbesitzer wusste, was er an Sissi hatte, und flehte sie an zu bleiben. Da die Sache mit Dirk ernster wurde, sagte sie zu. Jahr für Jahr übernahm sie mehr Verantwortung, und bald war sie unersetzlich. Doch als vor ein paar Jahren der Eigentümer des Hotels starb, wurde es an eine Hotelkette verkauft und ein junger Geschäftsführer eingesetzt.
Er war äuÃerst ehrgeizig und voller Tatendrang. Er hatte, im Gegensatz zu Sissi, die Hotelfachschule
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