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Vom Wahn zur Tat

Vom Wahn zur Tat

Titel: Vom Wahn zur Tat
Autoren: Thomas Stompe
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für ihn gemacht. Das war die feste Meinung von Günther L. Sein Vater erzählte nach der Tat, dass sich diese Überzeugung bei seinem Sohn schon früh herausgebildet habe. Nicht nur vom Fernsehprogramm habe er sich persönlich angesprochen gefühlt, er habe auch Zusammenhänge zwischen seinem Erleben mit Verkehrszeichen und Wunschkennzeichen auf Fahrzeugen hergestellt. Seltsam sei das gewesen, erinnerte sich der Vater, aber er habe diese Phänomene nicht einordnen können. Das konnte er auch dann nicht, als sein Sohn sich weiter veränderte und zunehmend Probleme damit hatte, seine Gefühle, insbesondere seine Aggressionen, zu kontrollieren. Dem Sohn kam der Gedanke, dass man versucht, ihn zu vergiften: Bestärkt wurde er in dieser Annahme durch eine Beobachtung, die er laut eigener Erzählung in seinem Stammlokal gemacht habe. Ein Besucher habe ihm gezeigt, wie man unauffällig jemandem etwas ins Getränk mischen könne. Er sei sich danach sicher gewesen, dass die Änderungen, die er bei sich bemerkt habe, auf Drogen, die man ihm unbemerkt eingeflößt habe, zurückzuführen gewesen seien. Grund dafür sei, dass er immer allein ins Lokal gekommen sei. Er hätte wen mitnehmen müssen. L. fühlte sich zunehmend beobachtet. Von den Gästen des Lokals, aber auch von anderen. Er vermutete, dass die Polizei in seiner Wohnung Geräte installiert habe, um ihn zu überwachen. Ja, sein Leben sei sogar auf die Monitore in seinem Stammlokal übertragen worden. Alle anderen hätten über ihn Bescheid gewusst, „vielleicht sogar besser als ich selbst“, meint der sich verfolgt Wähnende. Er habe sich wegen der Überwachung sogar Hilfe suchend an die Polizei gewandt, sei aber nicht ernst genommen worden.
    Herr L. wurde 1970 geboren. Seine Mutter hatte eine Sonderschule besucht, danach Köchin gelernt, die Lehre aber nie abgeschlossen. Als L. 15 Jahre alt war, kam die Mutter wegen einer paranoiden Schizophrenie sowohl stationär wie auch ambulant in Behandlung. Der Vater hatte ursprünglich Konditor gelernt, dann aber eine Pädagogische Akademie besucht. Er unterrichtete Französisch in einer Hauptschule. Geheiratet hatten die Eltern, weil die Mutter schwanger war. Die Ehe, die vom Vater als äußerst chaotisch beschrieben wird, hielt nur fünf Jahre, das Sorgerecht für Günther erhielt die Mutter. Günther L. lebte in beengten Verhältnissen. Er erinnert sich, dass seine Mutter „immer so seltsame Sachen geredet“ habe. Letztendlich konnte die Mutter ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen und wurde delogiert. Das Sorgerecht für den jungen L. bekam sein Vater.
    In der Volksschule war Günther ein guter Schüler, im Gymnasium dagegen zeigte er sich überfordert. In der Hauptschule fiel er durch Schuleschwänzen auf, das Jugendamt schaltete sich ein. Günther schloss die Hauptschule extern ab, anschließend absolvierte er die Handelsakademie – mit ausgezeichnetem Erfolg. Nach der Matura begann Günther L. zuerst Betriebswirtschaft zu studieren, dann Rechtswissenschaften. Beides brach er ab und kehrte nach Hause zurück, als ihm die Krebserkrankung der Mutter bekannt wurde. 1996 exmatrikulierte er, „weil er dem Vater nicht zur Last fallen wollte“. Er arbeitete dann kurz bei einer Versicherung, im Anschluss daran scheiterte er mit rund 30 Bewerbungen. Mit der Mutter geriet er immer stärker in Konflikt, wurde tätlich gegen sie – einmal so massiv, dass sie die Polizei zu Hilfe rief. Als er aus der mütterlichen Wohnung geworfen wurde, suchte er sich seine eigene – und lebte fortan von der Unterstützung des Vaters. „1996 begann er seinen Vater am Telefon zu belästigen“, heißt es in seiner Akte. „In regelmäßigen Abständen forderte er von ihm Geld, er rief ihn diesbezüglich mehrmals täglich an – auch zu Nachtzeiten. Zuletzt habe ihm der Vater bis zu 15.000 Schilling [Anm.: über 1100 Euro] monatlich überwiesen. Die Forderungen des Sohnes nahmen jedoch immer hypotrophere Ausmaße an. 1997 habe er sogar 100.000 Schilling gefordert, um beruflich nach Deutschland gehen zu können. Nach dem Delikt fanden sich in der Wohnung des Patienten große Mengen von Textilien von hohem Wert, oftmals identische Kleidungsstücke.“ 1997 starb die Mutter. Dem Vater schrieb der Sohn von nun an Briefe mit Geldforderungen in englischer Sprache. Wenn dieser wiederum Fragen nach dem Lebenswandel des Sohnes stellte, fühlte er sich kontrolliert, reagierte wütend und ungehalten. Letztendlich reichte es dem Vater: Er
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