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Vom Wahn zur Tat

Vom Wahn zur Tat

Titel: Vom Wahn zur Tat
Autoren: Thomas Stompe
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meldete im Jänner 1997 sein Telefon ab.
    Der Zustand von Günther L. verschlimmerte sich: Am 15. März kaufte er sich ein zwanzig Zentimeter langes Messer, da er das Gefühl hatte, ein Zeichen setzen zu müssen. Am 22. März machte er sich auf den Weg: Mit dem Messer und dem Vorsatz, jemanden niederzustechen, streifte er durch das Zentrum seines Heimatortes. Vor einer Auslage sah er sein Opfer, eine ungarische Touristin in Begleitung ihres Mannes. Er nahm das Messer aus dem Plastiksack, ging auf die Frau zu, stieß es ihr zuerst in den Bauch, dann in die Brust. Danach warf er das Messer weg und lief davon.
    Günther L. wurde eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert. Das Geschworenengericht beschloss die Einweisung in den Maßnahmenvollzug. In der Justizanstalt Göllersdorf kommt ein Gutachten zum Urteil: „Aufgrund der sich steigernden paranoiden Symptomatik ergab sich ein massiver Handlungsdrang mit dem Ziel, einen unerträglichen Spannungszustand zu lösen. Die Tat hätte den Zweck verfolgt, durch das Töten einer anonymen Person jene Mächte, die im Hintergrund der Verfolgungen standen, aufzurütteln.“ Das Opfer hatte den Täter irgendwie an seine Mutter erinnert, zu der er Zeit seines Lebens ein ambivalentes Verhältnis hatte. Ein Zufallsopfer, es diente nur der Druckentlastung des Täters.
    Dabei zeigt sich, dass auch bei einem wenig systematisierten Wahn eine höhergradige Verflachung der ethischen Gefühle ausreicht, damit eine derartig sinnlose Gewalttat geschehen kann. L. war nicht so tief im Wahn verstrickt, dass er das Opfer mit seiner Mutter verwechselt hätte. Er wollte mit dem Angriff auf eine unbeteiligte Person ein Zeichen setzen, das sich an seine heimlichen Verfolger richtet. Er wollte der Welt und damit den Verfolgern seine Wehrhaftigkeit vor Augen führen, wollte zeigen, dass er zu allem fähig ist, wenn man ihn nicht endlich in Ruhe lässt.
    Nach dem Mord löste sich der Wahn keineswegs auf. In der Nervenklinik, in der er vor seiner gerichtlichen Verurteilung aufgenommen war, drohte er ein Massaker auf der Station an, da er glaubte, dass Wasser und Lebensmittel vergiftet seien. Mit der Medikation verbesserte sich sein Zustand und Günther L. glaubte lange Zeit, dass er bald entlassen werde und nach Deutschland auswandern könne. Vor wenigen Jahren wurde B. schließlich in ein Wohnheim entlassen. Bis zuletzt zeigte er keine Krankheitseinsicht, akzeptierte jedoch immerhin die antipsychotische Depotmedikation.
    Nachtrag: In seiner Zeit in der Justizanstalt Göllersdorf glaubte L., das Trinkwasser sei vergiftet und er sei die Zielperson dieses Komplotts. Und dass das Fernsehprogramm extra für ihn gestaltet worden sei ...

Der Fall Franz F. – Der Kopf der Mutter
    Der Fall F. erlangte große Aufmerksamkeit in den Medien, die Grausamkeit der Tat war sehr plakativ und passte in die durch Horrorfilme vermittelten Vorstellungen vom „irren Mörder“. Franz F. tötete seine Mutter, köpfte sie anschließend und platzierte das Haupt der Mutter in ihrem Geschäft. Dort wurde F. von der Polizei verhaftet. Im Spital stellte man fest, dass F. von Wahnideen beherrscht war: „Der Patient kommt zur Aufnahme, nachdem er [...] seine Mutter durch zahlreiche Messerstiche getötet und danach ihren Schädel abgeschnitten hatte. Konfrontiert mit seinem Tötungsdelikt führt er weitschweifig aus, er wäre mit seinem Computer an ein weltweites Computernetz angeschlossen gewesen und habe ‚messages‘ erhalten und an andere weitergegeben, in erster Linie politische Sachverhalte. So habe er erfahren, dass Bukarest demnächst mit 24 Neutronenbomben beschossen würde. Auch den Ausbruch des Golfkrieges habe er schon vorhergesehen, da er präkognitiv veranlagt sei, und auch einen Börsensturz habe er vorgeahnt. Er habe an einem ‚fraktalen Integrationsmodell‘ gearbeitet, glaubte den Schlüssel zum Modell der Chaostherapie gefunden zu haben, habe den Andromedanebel gesehen und funkelnde Sterne.“
    F. ist ein mittelgroßer Mann, vom Typ her dunkel. Er entspricht exakt dem Klischee eines Ungarn. Sowohl die mütterliche als auch die väterliche Linie entstammen aus Adelsfamilien der österreichisch-ungarischen Monarchie. Die Enteignung der Familie erfolgte bald nach dem Ersten Weltkrieg, ein zweites Mal nach der Machtübernahme der Kommunisten in Ungarn. Die Eltern heirateten 1963. Franz F. wurde 1966 in Wien geboren. Zwischen den Eltern kam es immer wieder zu Streitereien. Die Unvereinbarkeit zweier Lebenskonzepte
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