Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Luehrs
Vom Netzwerk:
so, obwohl mir etwas schwindelig wird. Kommt wohl von den Strapazen und der Hitze.
    Wir hocken an einem Tisch mit älteren Herrschaften. Sie beäugen uns und reagieren zunächst zurückhaltend. Langsam aber kommt ein Gespräch zustande, und schon bald sind wir integriert. Beim zweiten Bier steige ich mit ein, nun doch geläutert und in besserer Stimmung.
    Ein Feuerwehr- und Dorfgemeinschaftshaus wird eingeweiht. Die Atmosphäre ist witzig und entspannt, und ich stelle fest, dass die Bayern besser sind als ihr Ruf. Sie granteln auch nicht nur, sondern können, wenn sie wollen, ganz vernünftig sprechen, so dass man sie versteht. Ihr Glaube lässt auch zotige Witze zu, so dass alle vor Vergnügen kreischen und sich auf die Schenkel klopfen.
    An anderen Tischen sitzen Jüngere, darunter auch fesche Frauen. Hin und wieder spürt man einen verstohlenen Blick, und ab und zu erhascht man einen – in dem winzigen Moment, in dem sich die Augen begegnen. Das schüchterne Flirten muntert mich auf, und nach dem zweiten Bier spüre ich auch meine Füße nicht mehr.
    Erst nach eineinhalb Stunden marschieren wir weiter – versehen mit den besten Wünschen und Vorschlägen für die vor uns liegende Strecke. Ich fühle mich gestärkt. Die ersten Schritte sind unglaublich schwer, aber ich reiße mich zusammen, um nicht zu humpeln. Sich bloß keine Blöße geben und dabei noch dumme Sprüche ernten. Schließlich habe ich den gestählten Wandersmann gemimt, insbesondere vor den jungen Leuten. Betont langsam und etwas staksig bewege ich mich fort und verschwinde sofort hinter dem Bahnhof im Wald.
    Es geht erstaunlich gut, und nach einer Weile hab’ ich mich eingelaufen. Es ist nicht so, dass ich nichts mehr spüre, aber ich kann es aushalten, und es wird auch nicht schlimmer. Ich trete die Schmerzen eher weg. Mich fasziniert diese Wendung: eine lange Pause, Ablenkung, Geselligkeit, Bier, Kaffee und Kuchen – und alles ist gut. Vor eineinhalb Stunden konnte ich kaum noch gehen, und nun bin ich wie durch ein Wunder genesen.
    Zwei Dinge habe ich heute erfahren: welchen Einfluss Stimmungen auf die körperliche Verfassung haben und wie stark die Psyche sein kann, wenn ein unbändiger Wille dahintersteht, um einen geschundenen Körper zu beherrschen!
    Bis Berching werden wir es heute nicht zu Fuß schaffen, also steht eine weitere Übernachtung im Freien an. Problematisch wird die Versorgung mit Proviant. Es ist Sonntag, und die Geschäfte haben zu, aber die gibt’s auf der vor uns liegenden Strecke sowieso nicht mehr. Bleiben nur noch Gasthöfe, die wir aber erst mal finden müssen.
    Herrlich ist die Ruhe, die uns nun umgibt, und ich kann sie wieder genießen. Aber es wird auch immer einsamer. Mit gedrosseltem Tempo schreiten wir voran und lauern auf Schilder, die auf einen Gasthof aufmerksam machen könnten. Es ist später Nachmittag, und es wird Zeit. Aber es tut sich nichts. Wir haben uns in den Wäldern verloren und rechnen schon mit einer Übernachtung im Freien ohne Wein und Brot. Dann endlich doch noch der ersehnte Hinweis, und wir folgen ihm. Die Straße führt abwärts, und nach gut einem Kilometer erreichen wir ein Ausflugslokal. Für wenig Geld erwerben wir je einen trockenen Schwarzriesling und mit Wurst und Käse belegte Brote, laufen wieder hinauf zu unserem Treck und kehren zurück in die einsamen Wälder.
    Martin und ich unterhalten uns angeregt. Das ist gut, denn es lenkt ab von den Zipperlein. Wir reden über uns, über unsere Vorlieben und Macken, über den Spielraum, den uns unser Charakter lässt, und darüber, ob man ständig über seinen Schatten springen kann.
    Grundsätzlich ändern kann man sich wohl nicht. Man ist so, wie man ist. Gespräche über sich und die eigenen Fehler sind eine Sache, die Emotionen und Triebe zu beherrschen eine andere. So ist es auch mit unseren Charaktereigenschaften: mit dem Geiz, dem Jähzorn, der Hinterlist, aber auch mit der Melancholie, der Lebensfreude, der Gutherzigkeit, der Sanftheit, dem Zuhörenkönnen und vielen anderen Eigenschaften, wie auch mit unseren Talenten. Sie sind da, wurzeln in unseren Genen und machen unsere Persönlichkeit aus. Jemand, der nicht geschäftstüchtig ist, wird es auch nach 20 Semestern Betriebswirtschaft nicht zu einem Geschäftsmann bringen. Und jemand, der kein Feeling für Musik hat, wird auch nicht Klavierspielen können, jedenfalls nicht so, dass es anderen gefällt, so viel er auch üben mag.
    Wir sind imstande, die Natur und den Kosmos zu

Weitere Kostenlose Bücher