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Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Luehrs
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einem Trekkingladen gekauft, und nun das. Flickzeug habe ich nicht dabei, es stand nicht auf meiner Checkliste. Mir wurde versichert, dass sie strapazierfähig sei und einiges aushalte. Ich kann es nicht fassen, jetzt habe ich echt ein Problem. Mir ist fast so, als wenn der Schaden durch die überhastete Flucht in meinem Traum heute Nacht verursacht worden wäre, als wenn alles wirklich passiert wäre.
    Fluchend packe ich meine Sachen zusammen, und wir ziehen los.
    Es ist windig, eine hohe Bewölkung verschleiert die Sonne, und bis zu unserem Frühstück in dem Städtchen Berching liegt ein weiter Weg vor uns.
    Trotz der beschwerlichen Nacht fühle ich mich fit. Meine Füße laufen rund, keine Spur von Müdigkeit. Ich genieße den majestätischen Wald, das Zwitschern der Vögel, das Glitzern des Taus in den Strahlen der Morgensonne, die gläserne Stille unter dem Dach abertausender Wipfel. Das Wandern in den frühen Morgenstunden hat etwas Besonderes – etwas Jungfräuliches und Unschuldiges, das dem jungen Tag anhaftet und ihn klar und unkompliziert macht.
    Gestern noch ein Schatten meiner selbst, erfüllen mich heute Kraft und Freude.
    Vier Wochen liegen hinter mir – eine Zeit wie eine Ewigkeit. Kein Telefon, keine Rechnungen, keine Termine, keine Korrespondenz, keine fremdbestimmten Anforderungen – kein Stress. Ein sanftes Ziehen nach Haus zu meiner Frau spüre ich schon. Doch es trägt mich, weil es sich schön anfühlt und nicht schmerzt.
    Es ist so ein Moment, der die Dinge zurechtrückt, so dass alles einen Sinn hat und das Leben Freude macht, getragen von einer besonderen Kraft und Energie. Die Pilger nennen es Erleuchtung, ich nenne es das Erfahren einer unbändigen Lust am Sein.
    Zweieinhalb Stunden benötigen wir bis Berching, einem verträumten kleinen Ort am Rande des Naturparks Altmühltal. Dicke Stadtmauern empfangen uns, und nach dem Durchschreiten eines der mittelalterlichen Tore stehen wir auf dem Marktplatz, umgeben von schmucken, bauchigen Häusern mit fränkischen Giebeln, kleinen Dachgauben und pastellfarbenen Fassaden. Diesmal können wir uns aussuchen, wo wir frühstücken wollen, und wir treffen eine gute Entscheidung: hervorragend der Schinken, das weichgekochte Ei, der duftende Kaffee und all die Beigaben, die ein fürstliches Frühstück ausmachen.
    Träge hocken wir anschließend auf der gepolsterten Eckbank und überlegen, wie es weitergehen soll. Erst einmal muss ich meine Unterlegmatte reparieren, und dann müssen wir entscheiden, ob wir abweichend von unserer Planung durch das Altmühltal wandern wollen.
    Also begebe ich mich auf die Suche nach Flickzeug bzw. einer neuen Matte, während Martin auf dem Marktplatz auf mich wartet. Ein kleiner Trekkingladen bietet außer Mode für Senioren nichts an. Er hat sich bereits auf den demografischen Wandel in Deutschland eingestellt.
    In einem Fahrradgeschäft werde ich fündig. Die Chefin ist unglaublich nett und hilfsbereit. Sie führt mich sofort in die Werkstatt hinüber, zeigt mir einen Bottich mit Wasser und eine Werkbank, die ich benutzen kann.
    Das Leck befindet sich genau an einer Kante der Matte und ist schwierig zu flicken. In der Halle ist es dunkel und kühl. Der Chef und ein Geselle scheinen zu reparieren, was auch immer man ihnen bringt. Jedenfalls ist die Bude bis unters Dach gefüllt mit den unterschiedlichsten Dingen.
    Nach all den vielen Tagen unter freiem Himmel kommt mir dieser Ort wie ein Verlies vor. Ich könnte hier nicht jeden Tag acht Stunden und mehr verbringen. Seltsam, wie anpassungsfähig der Mensch ist.
    Der Flicken muss eine Stunde trocknen. Ich nutze die Zeit, um im Touristikbüro Material über das Altmühltal zu besorgen, und kehre zu Martin zurück. Reizen würde uns der Umweg schon, aber unser Zeitfenster ist eng, und wir können schlecht abschätzen, um wie viel sich unser Weg verlängern oder dadurch grundsätzlich ändern würde. Also entscheiden wir uns für die geplante Route. Ich hole meine Matte, und gegen zwölf Uhr verlassen wir Berching Richtung Westen, überqueren den Main-Donau-Kanal und verschwinden im Wald.
    Nach einem Anstieg von knapp 200 Metern haben wir die Hochfläche der Alb wieder erreicht, den Wald hinter uns gelassen und wundern uns über die gottverlassene Eintönigkeit der Gegend. Riesige Ackerschläge erstrecken sich bis zum Horizont, unterbrochen von kleinen, halb verfallenen, öden Dörfern, in denen nicht einmal ein Hund oder eine Katze über den Weg schleichen. Hin und

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