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Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Luehrs
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herrliches, frisches Wasser, vielleicht so kalt, dass es mir den Schmerz nimmt. Die Versuchung ist groß, aber ich habe gehört, dass ein Wanderer sich davor hüten soll, während des Marsches seine geschwollenen Füße auf diese Art zu kühlen. Die Schwierigkeiten wären anschließend umso größer. Ich lasse es sein und lehne mich deprimiert zurück. Ich bräuchte jetzt einen Karenztag und einen Arzt, der mir die Ferse aufschneidet. Hoffentlich muss ich nicht aufgeben, ich habe echt ein Problem.
    Über 700 Kilometer sind wir gelaufen. Himmel, Herrgott – ich merke das, ich merke das wirklich! Etwas Böses bahnt sich da an. Gestern hat es schon angeklopft, und heute hat es sich eingenistet. Ich muss es wieder loswerden, sonst ist die Tour zu Ende. Frustriert lasse ich mich hängen. Mal seh’n, wie ich den Tag überstehe.
    Martin kommt zurück, und nach einer Weile brechen wir wieder auf. Es nützt ja nichts. Ich muss es weiter versuchen und weiß, dass jetzt eiserner Wille, Selbstbeherrschung und Quälerei angesagt sind.
    Der endlose Marsch aus Neumarkt wird zu einer Tortur. Die Ausfallstraße mit ihren gepflegten Einfamilienhäusern will nicht enden. Ich beiße die Zähne zusammen, fürchte mich vor jedem Schritt und muss doch weiter. Die Stiefel drücken und malträtieren meine Füße. Der Druck auf die Ferse ist kaum auszuhalten.
    Nach über zweieinhalb Stunden haben wir uns im Schneckentempo wieder zurück auf den Frankenweg bewegt.
    In einem winzigen Dorf auf der Alb machen wir Rast. Ein paar Stühle und zwei Tische stehen auf einem Rasenstück vor einem Wohnhaus, dessen untere Etage als Kneipe hergerichtet ist. Ansonsten ist der Ort tot. Eine junge Frau sitzt auf einer Bank im Schatten vor der Tür. Sie ist so bleich, als wenn niemals auch nur ein Sonnenstrahl sie berührt hätte. Sie ist die Kellnerin und nimmt die Bestellung auf. Eine exquisite Gulaschsuppe und eine herrliche Apfelschorle sind das Ergebnis.
    Mittlerweile habe ich beide Füße freigelegt, und der Schmerz lässt etwas nach. Ich sollte barfuß weitergehen, die Stiefel sind inzwischen wahre Folterinstrumente.
    Als wir aufbrechen wollen, steige ich in meine Trekkingsandalen und stopfe die schweren Stiefel in den Rucksack. Das zusätzliche Gewicht lastet bleischwer auf meinem Rücken. Doch für eine Weile komme ich besser zurecht, schmerzfrei geht es dennoch nicht. Und auf die Dauer habe ich keinen guten Halt in meinen Sandalen, rutsche hin und her und drohe umzuknicken. Schließlich muss ich wieder in die verdammten Stiefel, und die Pein geht von vorne los.
    Zwei Stunden mit kurzen Wanderpausen streichen vorüber, bis ich verzweifelt am Wegesrand niedersinke und den Weitermarsch verweigere. Wieder reiße ich mir die Schuhe von den Füßen und starre, auf dem Rücken liegend, in düsterer Stimmung in den Himmel.
    „Martin, wir müssen irgendwie eine Busstation erreichen. Ich glaube, es geht nicht mehr. In Berching, der nächstgrößeren Stadt, müssen wir pausieren. “
    Martin ist einverstanden, so war es ja auch abgemacht. Allerdings haben wir nie darüber gesprochen, wie es ist, wenn einer die Tour abbrechen muss. Widerwillig und frustriert setze ich mich damit auseinander, male mir aus, wie es ist, wenn ich aufgeben muss, frühzeitig wie ein Loser zurückkehre, immer mit dem Schicksal hadernd, das Ziel nicht erreicht zu haben. Einen zweiten Versuch werde ich wohl kaum starten. Es muss irgendwie weitergehen!
    Nach eine halben Stunde rappel ich mich auf und schleiche weiter, immer weiter und weiter. Hitze liegt über dem Land und macht es mir noch schwerer. Endlich, endlich, nach einer unermesslichen Zeit, erreichen wir Deining Bahnhof – einen kleinen Flecken mit einer Bahnstation. Vor einem flachen, neuerrichteten Gebäude ist ein Fest in vollem Gang. Jung und Alt hocken an Biertischen und feiern. Es gibt Bockwürstchen mit Kartoffelsalat, gezapftes Bier und Kaffee und Kuchen. Musik dröhnt aus einer Anlage, die Leute sind bester Stimmung.
    Da haben wir auf einmal unser Fest, von dem immer mal wieder während der Tour die Rede gewesen ist, da liegt es vor uns, jetzt, wo ich so beschissen drauf bin.
    Neugierig werden wir gemustert, und als wir zögern, winkt man uns heran und bedeutet uns, Platz zu nehmen. Sofort stehen zwei Biere bereit, und Martin und ich nehmen sie dankbar an. Jetzt ist mir alles egal – hau weg die Scheiße und werde gesund, das ist die Devise. Es perlt und zischt, und nach einem halben Glas habe ich einen sitzen. Gut

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