Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
während ich renne und renne und doch nicht vorankomme. Es ist, als wenn ich mich auf einem Laufband bewegen würde. Warum nur höre ich keinen Donner – nichts, gar nichts gelangt an mein Ohr. Als ich schreien will, entringt sich meinem Mund kein Laut. Er bleibt stumm und schnappt nach Luft, wie das Maul eines Fisches auf dem Trockenen.
Plötzlich wird es heller. Glutrot leuchtet der Himmel über dem vor mir liegenden Wald. Die Sonne kündigt sich an. Doch mit rasender Geschwindigkeit peitscht ein heftiger Sturm die schwarze Wolkenwand gegen die Morgenröte und will sie ersticken. Noch bin ich auf freier Flur, eile dem Wald entgegen im Wettlauf mit dem stummen Unwetter. Der Boden senkt sich, fällt steil ab, ich sehe keinen Pfad. Doch ich muss hinab, laufe im Zickzack den Hang hinunter, um nicht den Halt zu verlieren. Felsen und Gestrüpp machen das Vorankommen schwerer und schwerer. Mehrmals schlage ich hin. Eine Platzwunde auf der Stirn blutet heftig, nimmt mir die Sicht. Mein Schädel dröhnt, meine Lunge schmerzt, doch ich muss weiter, hinunter in den Wald, muss mich verstecken. Ich fühle mich gehetzt, als ob jemand hinter mir her sei. Wer bist du, was willst du, warum höre ich dich nicht!?
Wieder stolpere ich und rutsche auf eine Kante zu. Meine Beine schweben bereits über dem Abgrund, als der Absturz von einer jungen Fichte jäh gebremst wird. Panisch rappele ich mich auf und klettere, gegen den aufkommenden Schwindel ankämpfend, an einer Felswand in den Abgrund hinab. Es wird dunkler und dunkler, nur tastend komme ich vorwärts. Der Rucksack droht, mich nach hinten wegzuziehen. Verzweifelt kralle ich mich in den Felsen und rutsche ab. Mit einem dumpfen Schlag lande ich mit dem Rucksack zuerst auf dem Waldboden. Ohne ihn wär’s übler ausgegangen. Schwer atmend und am ganzen Körper zitternd bleibe ich liegen und lausche in die Dunkelheit. Der Wald schützt mich, doch über mir zucken die Blitze, und ich höre plötzlich ein Grollen und Rollen, dass mit ihrem Aufflackern einhergeht. Da ist jemand, aber ich weiß nicht wo.
Erst jetzt stelle ich fest, dass ich alleine bin. Wo ist Martin? Was macht der bloß bei diesem Unwetter? Ich bin ohne ihn los! Aber es lag auch keiner mehr neben mir, als ich aufwachte. Der Gedanke verflüchtigt sich. Ich habe Durst, meine Zunge klebt am Gaumen, heftige Schmerzen strahlen vom Rücken aus bis in die letzten Fasern meines Körpers. Beim Aufrichten streife ich den Rucksack ab und schleppe mich weiter – vorsichtig und voller Angst. Der Wald wird lichter, und die Blitze leuchten ihn nun aus, lassen eine Schattenwelt entstehen, in denen Geister ihr Unwesen treiben. Jeder Baum und jeder Strauch verwandelt sich in eine furchterregende Gestalt. Ein heftiger Sturm haucht ihnen Leben ein, und sie greifen nach mir, beginnen zu tanzen, angepeitscht vom Brüllen des Orkans. Ein ohrenbetäubender Donnerschlag, zeitgleich mit einem Blitzstrahl, der direkt aus der Hölle zu kommen scheint, reißt mich zu Boden, und nun ich sehe sie, die Gestalt des Gamaschenmannes: Ein tiefschwarzer, abgründiger Schatten – dunkler noch als die Nacht – schiebt sich über mich, den gleißenden Feuerstrahl wie den Schweif eines Drachens hinter sich herziehend. Ich spüre, wie ich auf einen Felsen aufschlage und der heiße Atem meines Peinigers mir die Sinne raubt.
Doch ich kann mich aufrichten, es ist plötzlich dämmrig. Am Horizont, rechts von mir, wetterleuchtet es schwach. Ich taste unter mich und spüre harten Boden. Mein Kreuz schmerzt. Ich streiche über meine Stirn. Sie ist feucht, die Haare kleben am Kopf. Martin schnarcht wie ein Besessener, über mir funkeln Sterne. Ängstlich schaue ich mich um, doch es ist ruhig, und ein sanftes Rot über dem Wald kündigt den Morgen an.
Aus meiner Unterlegmatte ist sämtliche Luft entwichen, ich liege auf dem blanken Boden, schweißgebadet. Fluchend blase ich sie wieder auf und krieche zurück in den Schlafsack, fürchte, dass der Alptraum zurückkehrt.
So ein Traum in freier Wildbahn haut den stärksten Mann aus den Puschen. Eine Weile wehre ich mich gegen den Schlaf, zucke bei jedem Geräusch zusammen. Doch irgendwann übermannt er mich und geleitet mich traumlos durch die Dämmerung der schwindenden Nacht.
A UF DER A LB
MONTAG, 26. MAI
HENNENBERG – THALMÄSSING
(NÖRDL. RAND NATURPARK ALTMÜHLTAL), 36 KM
Ich erwache wieder auf hartem Boden, nicht ein Kubikzentimeter Luft ist mehr in der Matte. Ich habe sie erst kurz vor der Wanderung in
Weitere Kostenlose Bücher