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Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Luehrs
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einer Flasche rotem, trockenem Frankenwein in der Hand.
    „Also, das ist jetzt ein ganz Guter, der ist aber auch teuer.“
    „Den will ich auch“, ruft Martin und ich denke, jetzt rastet sie aus. Weit gefehlt.
    „Da habe ich noch welche von, ich geh’ schnell. Hätt’ ich das von Anfang an gewusst,“ flötet sie.
    Beschwingt eilt sie wieder hinein und in den Keller hinunter.
    „Der Preis macht heiß“, denke ich – mir soll’s recht sein, jetzt haben wir, was wir wollten.
    Am Ende zahlt jeder 15 Euro, und alle sind zufrieden – vor allem wir, ist es doch nicht selbstverständlich, auf diese Art und Weise seinen Proviant zu erwerben.
    Es ist halb sechs und drückend warm. Ich fühle mich schlaff und nicht mehr zu großen Taten bereit. Die Sonne scheint milchig durch hohen Dunst, die Natur ist müde, es regt sich nicht viel. Der Weg führt durch Wald, über Heide- und versteppte Grasflächen, durch buschiges Unterholz zurück in die Einsamkeit. Es gibt keine Häuser mehr, keine Menschen, keine Zivilisationsgeräusche, nicht mal Äcker und Felder, als würden wir am Rande der Welt laufen, dort, wo der Mensch keine Rolle spielt.
    Diese besondere Stimmung erlebe ich nicht zum ersten Mal auf unserer Wanderung. Doch der Zauber, der mit ihr einhergeht, berauscht mich immer wieder aufs Neue. Die unberührte Weite hat ihre eigene Melodie, die Saiten zum Schwingen bringt, deren feines Vibrieren du nur hier vernimmst, wo du nicht abgelenkt wirst, wo nur du und die Natur existieren. Ein archaisches Gefühl von Zusammengehörigkeit entfaltet sich, welches dir unsere Erde als einen Verbündeten, als einen Freund erscheinen lässt, als das, was sie tatsächlich ist: unser Lebensraum, und sei er noch so wild und fremd. Du spürst den Atem Gaias, der Allmutter Erde und Mutter aller Götter, die nach der Vorstellung der alten Griechen das Leben hervorbringt, ernährt und nach dem Tode wieder in sich aufnimmt. Eine Vorstellung, die in jener modernen Auffassung ihre Entsprechung findet, wonach die Erde und alles, was sie hervorbringt und umgibt – die gesamte Biosphäre –, ein Organismus ist, der in wechselseitiger Abhängigkeit existiert: ein Lebewesen von unglaublicher Komplexität, genannt nach eben dieser Gaia.
    Auf einer vorgeschobenen Kanzel finden wir unseren Schlafplatz, ein Paradies von unglaublicher Schönheit, so nah am Himmel. Hinter uns der Wald, davor eine mit teils hohem Gras bewachsene Fläche, einigen Felsen und Büschen und dann ein jäher Abbruch in die Senke vor uns. Nicht tief, aber doch so, dass man meint, über der Welt zu stehen. Aufgeregt werfe ich den Rucksack ab und schreite unser Terrain ab. So weit das Auge reicht – nichts als Natur. Ich kann mich nicht satt sehen an den Höhen, an den Wäldern, an der Freiheit, die vor mir liegt. Zikaden zirpen, die Vögel singen ihr Abendlied. Es ist so warm, dass ich mir alle Klamotten vom Leib reiße und barfuß, nur mit der Unterhose bekleidet, an den Kanzelrand gehe. Selig betrachte ich unser Reich, recke beide Arme mit geballten Fäusten in den Himmel und brülle: „Ja, ja, ja, das isses, das isses, ich liebe das Leben!“
    „Ja, mein lieber Wolfgang, das isses!“, echot Martin, und ich spüre, dass es auch ihn gepackt hat.
    Ich brauche lange, bis ich meinen Schlafplatz hergerichtet habe. Immer wieder muss ich meiner Freude Ausdruck geben, herumlaufen, mein Glück genießen. Dann sitzen wir in Unterhose und T-Shirt auf unseren Matten, stoßen an und beißen in das köstliche Brot.
    Vor uns wiegt sich sanft im warmen Wind das Gras, die Landschaft verändert mit der sinkenden Sonne ihre Konturen, und als sie hinter einen Höhenzug verschwindet, hinterlässt sie einen rosa Schein am Firmament. Die Zeit hat sich verflüchtigt und nur den Raum zurückgelassen, in dem alles so ist und passiert wie seit Ewigkeiten auf dieser Welt.
    Afrika, Afrika, bist du es, was ich in mir fühle, ist ein Teil von dir jetzt hier?
    „Ich hatte eine Farm in Afrika am Fuße der Ngongberge!“ Das sind die melancholischen Worte von Meryl Streep in dem großartigen Film „Jenseits von Afrika“, und es ist, als säße ich neben ihr und folgte ihrem Blick, dorthin, wo unser aller Ursprung ist.
    Martin streckt sich in seinen Schlafsack und wünscht mir eine gute Nacht. Ich bin noch lange nicht so weit, mein Innerstes ist zu aufgewühlt, ich will noch sitzen und die Welt betrachten.
    Auf einem Felsblock am Rand unserer Kanzel finde ich meinen Thron. Die Sommernacht umhüllt

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