Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
Kilometer sind wir heute gelatscht, mein Körper ist ausgelaugt und meine Füße brennen. Es dämmert bereits. Ich kann mir nicht vorstellen, auch nur noch einen einzigen Schritt zu machen, geschweige denn, mir im Halbdunkel einen Schlafplatz im Freien zu suchen. Über den Zustand des Hotel- und Gaststättengewerbes in Deutschland haben wir uns wohl falsche Vorstellungen gemacht.
Jetzt gilt es, allen Charme aufzubringen, um die Wirtin für uns einzunehmen, damit sie sich den Arsch aufreißt, um uns irgendwo unterzubringen. Doch es bedarf gar nicht großer Überredungskunst, um ihre Unterstützung zu gewinnen. Während wir noch reden, telefoniert sie bereits und versucht, uns in Privatpensionen unterzubringen. Aber der Versuch misslingt. Entweder nimmt keiner ab oder es ist belegt. Die beiden Erscheinungen verlassen derweil das Gasthaus ohne viel Aufhebens und ohne zu zahlen.
Wir bestellen jeder ein großes Bier, und ich zünde mir ein Zigarillo an. Die Nacht kommt so oder so, und je länger die Pause im Gasthaus währt, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns vielleicht hier irgendwo hinhauen können. Irgendwie scheint unsere Wirtin von unserem Vorhaben oder von uns angetan zu sein. Jedenfalls lässt sie nicht locker, uns eine Unterkunft zu organisieren. Sie schnappt sich das Telefonbuch und ruft den Heidehof im einige Kilometer entfernten Nachbardorf an. Dort sind Einzel- und Doppelzimmer frei. Wir schauen sie fragend an. Wie sollen wir dahin kommen? Dafür hat sie bereits eine Lösung. Sie telefoniert wieder und spricht:
„Kannst du bitte nach unten kommen. Hier sind zwei Herren, die in den Heidehof gebracht werden müssen.“
Mehr nicht, legt den Hörer auf und wendet sich uns zu. Nun beginnt ein nettes, aber kurzes Gespräch, und als unsere Gläser sich leeren, betritt ein Herr die Gaststube und bietet sich an, uns zu fahren.
Wir zahlen, geben ein gutes Trinkgeld und verabschieden uns.
Der Heidehof hält, was er verspricht. Ein ausladender Fachwerkklinkerbau mit einem mächtigen, bereits über den Erdgeschossfenstern ansetzenden, roten Ziegeldach, das mittig von einer breiten Gaube unterbrochen wird. Davor ein großzügiger Platz mit zwei mächtigen Rotbuchen.
Wir ordern Einzelzimmer, da wir bereits jetzt feststellen, dass die enge Zweisamkeit nicht überstrapaziert werden darf. Wir sind ja ständig zusammen, von morgens um acht bis abends neun, zehn Uhr. Also schonen wir uns und akzeptieren den Aufpreis, auch wenn das Budget dadurch gesprengt wird. Wir haben es auf 45 Euro pro Tag festgelegt. Bei geschätzten Übernachtungskosten von 30 bis 35 Euro pro Person werden wir dieses Limit nicht halten können, wenn wir nicht jede dritte Nacht draußen schlafen.
Mein Zimmer ist riesig, sicher 30 Quadratmeter, und hat vier Betten. Da hätten wir nun wirklich problemlos zu zweit drin schlafen können. Dennoch ist es jetzt gut, ein wenig allein zu sein.
An meiner rechten Ferse hat sich eine Druckstelle gebildet, die unter der Hornhaut pulsiert, und am linken großen Zeh muss ich eine fette Blase aufstechen. Die Mörderwanderung heute hat ihre Spuren hinterlassen.
Zu guter Letzt massiere ich in die Füße die wirklich wohltuende Hirschtalgsalbe ein. Ohne dieses Mittel wären meine Fußprobleme wahrscheinlich noch viel größer geworden, als sie es ohnehin werden sollten.
Ich streife meine Sommerschuhe über, die ich als zweites Paar mitgenommen habe. Obwohl das eingelaufene und leichte Schuhe sind, stehe ich da jetzt drin wie die Stiefschwestern in Aschenputtels goldenen Schuhen. Die geschwollenen Füße haben kaum Platz, und die dünne Sohle ist bretthart. Ich mag kaum auftreten und humple über den Hof ins Restaurant.
Wohlige Wärme und geschäftiges Treiben empfangen mich. Die Bude ist voll, und die Luft dampft. Auf einer großen Leinwand im Raucherraum wird das Bundesligaspiel Nürnberg gegen Dortmund übertragen. Besser geht’s nicht – ein gutes Bier, ein Zigarillo, Fußball und dann noch ein warmes Essen. Die körperliche Anspannung ist wie weggeblasen, wohlig räkele ich mich auf dem gepolsterten Stuhl, verklappe in Nullkommanix das erste Bier, genieße das Schwatzen der Menschen um mich herum, das Fußballspiel und die üppige Mahlzeit: ein gewaltiges Schnitzel mit Zwiebelsoße, herrlichen Bratkartoffeln und Salat, hintendrauf einen Schnaps der Region und noch ein Bier. Das Essen hat mich bleiern müde gemacht, das Spiel endet null zu null – Schicht im Schacht. Beim Bezahlen gelingt es
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