Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
noch mit einer stoßdämpfenden Einlage versehen, die den Auftritt zusätzlich mit abfedert.
Gegen die Folgen der über Stunden gleichförmigen Bewegung auf nahezu ebener Strecke ist wohl kein Kraut gewachsen, und es sollte noch viel schlimmer kommen.
Mit der Nagelschere steche ich die Blase auf und drücke das Wasser heraus. Dann werden beide Füße mit Hirschtalg – versetzt mit Aloe Vera – eingerieben, anschließend die empfindlichen Stellen, an denen sich Blasen bilden könnten – Ferse, kleiner und großer Zeh – mit Leukosilk abgeklebt und zum Schluss vorsichtig die Wandersocken, die bereits gut müffeln, übergezogen. Meine lange Wanderhose verschwindet im Rucksack. Die wunde Stelle im Schritt habe ich mit Mirfulan behandelt, aber sie ist noch sehr empfindlich.
Dann wird der Rucksack gepackt. Alle Sachen liegen draußen, allerdings schon in verschiedenen Netzbeuteln vorsortiert. Ich habe bisher auf meinen Wanderungen noch kein System entwickelt, das ein nahezu völliges Ausräumen des Rucksacks am Abend vermeidet. Irgendetwas sucht man immer. Aber viel habe ich eh nicht mit, so dass auch das Einpacken fix vonstattengeht.
Nach einer knappen halben Stunde sind wir fertig. Ausgeschlafen und gut gelaunt gehen wir hinunter in den lichtdurchfluteten Klassenraum. Die Terrassentür steht offen, die frische Morgenluft mischt sich mit dem Duft des Kaffees. Einer der Tische ist gedeckt mit Brötchen, einer Wurstund Käseplatte, selbstgemachter Marmelade, Eiern, Saft und Butter. Dorthin setzen wir uns, warten auf den Kaffee und fühlen uns wie Gott in Frankreich.
Eine ganze Wand des ehemaligen Klassenzimmers ist bis unter die Decke mit Büchern vollgestopft: unzählige Romane, Kinderbücher, Goethe, Schiller, Lessing, Atlanten, Sachbücher, Biografien und vieles mehr. Aus einer offenen Tür hört man Geschirrklappern. Bald darauf kommt durch diese Tür unsere Wirtin mit der Kaffeekanne, begrüßt uns, schenkt Kaffee ein und setzt sich zu uns. Ein geheimer Seufzer durchfährt mich, die Ruhe beim Frühstück ist dahin.
„So, so, durch Deutschland wandern wollt ihr also. Ich wollt’, ich hätt’ so viel Zeit für mich“, beginnt sie, und dann passiert etwas, was immer wieder passieren sollte: Nach kurzen Fragen wenden sich die Menschen, denen wir begegnen, ihrem eigenen Leben zu und erzählen von ihren Sorgen und Nöten, den Unbilden des Alltages, der verlorenen Zeit, ihren Krankheiten oder auch einfach nur, was sie den lieben langen Tag so schaffen. Es ist schon erstaunlich, wie sie sich wildfremden Menschen so plötzlich öffnen. Ist es die Leistung, die wir vollbringen, die uns so nah an sie heranbringt, die sie glauben lässt, dass wir etwas Besonderes sind? Ist es die Tatsache, dass wir Durchreisende sind, denen sie sich mitteilen können, weil wir nichts an jene weitertragen, die sie kennen? Auf jeden Fall schleppen sie es mit sich herum und es belastet sie.
Oft schwingen Melancholie und Fatalismus in ihren Erzählungen mit und machen betroffen. Vielleicht ist es das deutsche Gemüt, dem wir begegnen, immer ein bisschen schwermütig, sorgenvoll und skeptisch.
Abends, so sagt unsere Wirtin noch, sei sie von der vielen Arbeit oft so müde wie eine Bauersfrau, und es falle ihr immer schwerer, dann noch freundlich auf ihre Gäste einzugehen. Aber eine Weile wolle sie noch weitermachen. Es bringe ja auch Freude, etwas Eigenes aufgebaut zu haben – auch wenn die viele Arbeit einen manchmal auffrisst.
Ich sage ihr, dass sie hier ein wunderschönes Ambiente geschaffen habe und dass sie doch stolz auf all dies sein könne.
Sie lächelt dankbar und erhebt sich, um ihren Laden zu öffnen. Wir zahlen und gehen dann ebenfalls hinüber, um noch ein wenig Verpflegung einzukaufen, und wieder betreten wir eine mit Liebe eingerichtete Puppenstube mit unzähligen kleinen Geschenkartikeln, ausgestellt auf alten Kommoden, Schemeln und Regalen, mit Lebensmitteln, Büchern, Kalendern und einer Menge liebevoll drapierten Schnickschnacks.
Nachdem wir Brötchen und etwas Käse gekauft haben, verabschieden wir uns. Sie wünscht uns viel Glück und winkt uns nach, als wir das Gelände verlassen. Schon bald nimmt uns der große Wald am Südrand des Ortes auf und verschluckt uns. Es ist neun Uhr morgens.
Wir wandern auf einem endlosen, schnurgeraden Forstweg – ein braungelber Streifen, der sich durch das dunkle Grün des Nadelwaldes frisst und von einem azurblauen Himmelsausschnitt überdacht wird. Das Gespräch mit der Frau
Weitere Kostenlose Bücher