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Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Luehrs
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zu starten. Martin kann sich durchaus vorstellen, bis nach Müden zu marschieren. Also bleibt die Sache offen, und wir machen uns wieder startklar.
    Vor dem nächsten Laden beginnt die Diskussion von vorn. Wollen wir oder wollen wir nicht draußen schlafen?
    „Wir können ja mal schauen, was es so gibt“, meine ich, während ich bereits auf den Eingang zusteuere.
    Martin folgt mir. Unschlüssig stehen wir vor den Regalen und können uns nicht so recht entscheiden. Irgendwie fehlt uns die Motivation, die erste Freilandübernachtung in Angriff zu nehmen. Es ist nicht besonders warm draußen, es hat leicht geregnet, und außer Ackerland gibt es hier nichts. Wo sollen wir schlafen, am Rande eines Feldweges oder in einer Ackerfurche?
    Martin schlägt vor, bis Hohne zu wandern, vielleicht noch sechs bis sieben Kilometer. Möglicherweise finden wir ja in dem Ort einen Gasthof. Das Problem ist, dass wir bereits 29 Kilometer hinter uns haben. Das wird ein Mörderritt.
    Mir fällt nichts Besseres ein, also verlassen wir den Ort ohne Proviant.
    Der Weg wird nun beschwerlich. Wir stapfen auf betonierten Feldwegen durch ödes, landwirtschaftliches Terrain. In Grebshorn fragen wir Arbeiter, die eine große Fläche vor einer Halle pflastern, nach dem Weg, und aus den sechs bis sieben Kilometern nach Hohne werden plötzlich zehn. Martin ficht das nicht an, er freut sich auf das Abendessen. Da dämmert mir, dass es meinen lieben Wanderbruder nur zum Trog treibt. Für ein üppiges Essen ist ihm alles andere egal, und er läuft dafür gerne auch mal knapp 40 Kilometer. Das hatte er auch schon in Steinhorst vor, und ich weiß aus unserem gemeinsamen Alltag, wie gerne er isst.
    „Du alte, verfressene Wurst, willst du mich umbringen?“, denke ich und mache meinem Unmut Luft.
    Martin aber bleibt in Erwartung des Nachtmahles gelassen, lacht und antwortet:
    „Ja, so ist der Martin.“
    Ich reiße mich zusammen und ringe ihm ab, dass, wenn ich nicht mehr kann, der Schlafsack ausgerollt wird, wohl wissend, dass ich ohne etwas Vernünftiges im Magen mich dennoch zumindest bis nach Hohne quälen werde.
    Endlich liegt das Dorf vor uns. Mühselige zwei Stunden sind vergangen, und wir machen eine letzte kurze Rast auf einer Bank unter einem einzeln stehenden Baum, schauen still über die weite Landschaft, über die gelben Raps- und zartgrünen Getreidefelder, die unter einem blassblauen Himmel sich in der Ferne verlieren. Dunst hat sich in der beginnenden Dämmerung über das Land gelegt. Die roten Dächer der Häuser scheinen darin zu schweben, und die einsetzende Kühle lässt uns frösteln.
    So, wie wir am Nachmittag in jenem verlassenen Garten gesessen haben, so sitzen wir nun am Abend unter einem Baum vor einem Dorf, allein, unser Hab und Gut am Leib und im Rucksack – wissen nicht, was uns erwartet. Langsam beginnt sich der Rhythmus unserer Wanderung abzuzeichnen: aufstehen, packen, frühstücken, marschieren, pausieren, irgendwann die Suche nach einem Schlafplatz aufnehmen und zu guter Letzt den meist kurzen Abend genießen. Seltsam einfach wird das Leben.
    Noch einmal schultern wir unseren Rucksack und gehen die kurze Strecke ins Dorf hinein. Wieder steigt die Spannung, und dieser eigenartige Schwebezustand während der Quartiersuche nimmt von uns Besitz. Schon bald erblicken wir ein großes Gasthaus mit einem mächtigen Anbau. Es hat geöffnet, und wir betreten den verrauchten Schankraum und eine andere Welt. An der ausladenden, weit in den Raum hineinragenden, u-förmigen Theke hocken zwei Gestalten. Die eine hat ihren Kopf auf den auf der Theke ruhenden Unterarm gebettet. Sie scheint zu schlafen. Die andere, ein zahnloser Typ, rülpst ein trunkenes Hallo. Die Wirtin, eine hübsche, schlanke, adrett gekleidete Frau in den mittleren Jahren, lehnt am Innentresen und mustert uns. Sie wirkt fremd hier, wie verloren in diesem Relikt aus fernen Zeiten, das seine besten Tage mit vielen Gästen und lebensprallen Partys schon lange hinter sich zu haben scheint. Es herrscht tiefe Stille.
    Zögernd nehmen wir auf zwei Barhockern Platz, und dann frage ich sie, fast scheu angesichts der Grabesruhe, nach einem freien Zimmer. Ein klares, knappes Nein ist die Antwort.
    Schon lange würde sie keine Zimmer mehr vermieten. Der Aufwand für Pflege und Instandhaltung lohne sich angesichts der geringen Nachfrage nicht, und in Hohne gäbe es auch keine weiteren Hotels oder Gasthäuser mit Übernachtungsmöglichkeiten.
    Innerlich stöhne ich auf. 38

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