Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
Tag hinter uns gebracht haben, und unser Fläschchen Wein, wenn wir draußen schlafen. Irgendwie verdient man sich das, und es schmeckt um so vieles besser als oftmals zu Hause. Schließlich und endlich machen wir auch keine Fastenwanderung und sind auch keine Mönche, obwohl – die haben doch auch gesoffen, oder? Wer so lange und so anstrengend wandert, muss am Abend entspannen und seine Etappe begießen – das gehört dazu, macht Spaß und entspannt, aber alles in Maßen eben, und heute war wohl eine zu viel.
Mir geht’s besser. Ich ziehe mich aus, nehme vorsorglich eine Kopfschmerztablette, sortiere noch einige Fotos aus und sinke wenig später in einen tiefen Schlaf.
K LEINE G ESCHENKE
MONTAG, 2. JUNI
DONAUWÖRTH – BIBERBACH (NÖRDL. AUGSBURG), 31 KM
Guten Morgen, Wolfgang, wie geht’s uns denn heute?
Kritisch mustere ich mein Gesicht im Spiegel: braungebrannt, an einigen Stellen gerötet, unrasiert, leichte Tränensäcke, Falten um die Augen, aber ein klarer Blick, keine Kopfschmerzen – insgesamt ganz ansehnlich, wie ich finde. Ich fühle mich fit und ausgeschlafen, und es wird weitergehen, so lange, bis wir unser Ziel erreicht haben.
Vielleicht habe ich das gestern Abend einfach mal gebraucht, völlig abzuschalten und meinen Verstand auf diese Art und Weise auf null runterzufahren. Man kann das natürlich auch anders machen, aber es ist halt so passiert.
Seit einer Ewigkeit sind wir unterwegs, so scheint es mir. Zu lange, um jedem Tag mit Enthusiasmus und Spannung zu begegnen, zumal auch die Landschaften nicht immer so abwechslungsreich sind, dass man vor Erstaunen und Entzücken schier aus dem Häuschen gerät. Und auch der körperliche Verschleiß wird immer spürbarer. Dennoch geht es mir überwiegend gut, ich habe selten Kopfschmerzen, seit Tagen keine Rückenschmerzen mehr und kaum negative Gedanken.
Nach dem Frühstück gehen wir einkaufen: Sonnenschutz, Mückenschutz, Powerriegel, Abklebepflaster und noch ein paar Kleinigkeiten für den Wanderalltag. Erst gegen zehn verlassen wir Donauwörth Richtung Süden.
Vor uns erstreckt sich flaches Land – bis zum Horizont; mit kleinen Bächen und Seen, Moorflächen, Entwässerungskanälen, Auenwäldern, vielen Wiesen und kleinen Ackerschlägen. Hin und wieder sieht man einen Storch oder einen Fischreiher. Es ist das Ried, eine alte Fluss- und Sumpflandschaft südlich der Donau, das wir durchwandern. Eine wunderschöne, stille, fast scheue Natur mit südlichem Flair. Sie erinnert mich in manchem an die Po-Ebene.
Es ist heiß, die Sonne steht hoch am wolkenlosen Himmel, Mücken sind unterwegs. In einem kleinen Ort fragen wir eine Frau, die vor ihrem Haus im Garten werkelt, nach einer Gastwirtschaft. Fehlanzeige. Es gebe hier keine und auch keine im nächsten Ort. Überhaupt werde das immer schwieriger mit der ganzen Versorgung. Nicht nur Gastwirtschaften schlössen oder hätten nur noch an bestimmten Tagen und dann oft auch erst ab 18 Uhr auf, auch die Lebensmittelläden verschwänden aus den Dörfern, es gebe keine Ärzte mehr, Schulen machten dicht und selbst die Priester gingen ihnen aus.
Nach vier Stunden Marsch mit wenigen kleinen Pausen erreichen wir Allmannshofen. Stehen vor einem Bürgerhaus, einer Art ehrenamtlich geführtem Lokal, das, wie kann es anders sein, geschlossen hat. Wir brauchen dringend Wasser, haben Durst und sind von der Hitze zermürbt.
Vor dem Haus befindet sich eine Rasenfläche mit zwei Tischen und einigen zusammengeklappten Stühlen, die an einem jungen Baum lehnen, der ein paar Quadratmeter Schatten spendet.
Wir müssen unbedingt pausieren, sonst erleiden wir einen Hitzschlag. Also stellen wir einen Tisch so auf, dass zumindest die Stühle im Schatten stehen.
Ich muss pinkeln und suche mir hinter dem Haus im Gebüsch einen Platz. Dabei entdecke ich einen Wasserhahn an der Hauswand. Nur um mich zu vergewissern, drehe ich am Hahn: Wasser – helles, klares, kühles Wasser – schießt in einem breiten Strahl aus der Öffnung, ein Geschenk des Himmels. Frohlockend kehre ich zu Martin zurück, der mit einer weiteren Gabe aufwartet. Zwei Apfelschorlen stehen auf dem Tisch. Jemand war im Haus und hat uns gesehen und diese beiden Gläser herausgestellt, ohne Geld zu verlangen. Wie zwei kleine Kinder freuen wir uns über das Geschenk. Das, was wir am nötigsten brauchen, haben wir bekommen, ohne uns zu kümmern und ohne einen Gegenwert dafür zu geben. Wir trinken uns satt und kauen vergnügt auf unseren Powerriegeln. So
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